Nachdem die Europäische Kommission im Rahmen der EU Taxonomie bereits Atomkraft und Erdgas als Brückentechnologien und somit als grün einstufte, beschleunigt sich aktuell die öffentliche Diskussion über ein vermeintlich gebotenes Umdenken auch gegenüber einer weiteren Branche – der Rüstungsindustrie. Letztere fordert angesichts der russischen Invasion in der Ukraine nunmehr umso vehementer, im Rahmen der geplanten EU-Sozialtaxonomie als nachhaltig zu gelten.
Nach Ansicht des BDSV, einer Lobbygruppe der deutschen Rüstungsindustrie, verkenne ein Ausschluss der eigenen Branche aus Finanzprodukten, welchen sicherheitspolitischen Beitrag sie leiste. Man sehe sich zu Unrecht stigmatisiert, trage im Gegenteil positiv zur sozialen Nachhaltigkeit bei, da die äußere wie innere Sicherheit erst Voraussetzungen für gesellschaftliche Freiheitsrechte und Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen schaffe.
Bestärkt sieht sich die Rüstungsbranche zudem durch die 180-Grad-Wende in der deutschen Verteidigungspolitik und der Ankündigung des Bundeskanzlers Scholz, 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr aufzuwenden. An den europäischen Kapitalmärkten kommt es zu ersten Positionierungen: Eine der größten schwedischen Banken hebt ab April 2022 sein Verbot von Investitionen in Waffen auf. Die Nachhaltigkeitspolitik der Bank werde an die neue geopolitische Realität in Europa angepasst. Investitionen in die Verteidigungsindustrie seien von zentraler Bedeutung für die Aufrechterhaltung und Verteidigung von Demokratie, Freiheit, Stabilität und Menschenrechten. Vereinzelte deutsche Banken signalisieren ebenfalls, für Waffenhersteller offen zu sein.
Werden Rüstungsgüter aus Nachhaltigkeitsperspektive nun gänzlich neu bewertet? Befürworter einer Öffnung führen unter anderem an, dass der Verzicht auf Investitionen in Waffenproduzenten häufig aufgrund von wertebasierten Ausschlusskriterien erfolge. Werte einer Gesellschaft sich jedoch veränderten und der Nachhaltigkeitsbegriff gegebenenfalls einem neuen Wertekompass anzupassen sei. Ferner sollte die Branche differenzierter betrachtet werden, ein pauschaler Ausschluss sei zu einfach. Man müsse prüfen, welche Rüstungsunternehmen tatsächlich zur Sicherung gesellschaftlicher Freiheitsrechte beitrügen. Wäre dies sichergestellt, könnten derartige Investments soziale Relevanz besitzen.
Die Gegner einer Öffnung argumentieren indes, dass nur schwer zu garantieren sei, dass Waffen ausschließlich für die Sicherheit von Demokratien verwendet und nicht etwa für Angriffskriege missbraucht würden. Deren Einsatz und positive soziale Auswirkungen seien kaum vereinbar, da dieser in der Regel mit Leid, Tod und verwüsteten Landschaften einhergehe. Waffen seien realistischerweise notwendig, jedoch nicht nachhaltig. Ferner drohe der EU-Taxonomie ein weiterer Glaubwürdigkeitsverlust, da sie als Steuerungsinstrument für die Wirtschaft weiter entwertet würde.
Neben der Definition von Wirtschaftsaktivitäten mit ökologisch und gesellschaftlich gewollten Beiträgen, sei sie ferner für die Finanzierung der übergeordneten Transformation gedacht. Mit beidem habe Rüstung jedoch nichts zu tun. Die Gesellschaft scheint noch auf der Suche nach einem Konsens, Politik und Verbänden stehen noch harte Verhandlungen bevor. Nachhaltig orientierte Anleger dürften hier eine eindeutigere Meinung vertreten. Zumindest werden wir neue Diskussionen führen müssen und mit neuen Interpretationsansätzen konfrontiert sein

Frederic Waterstraat ist Kapitalmarktexperte, langjähriger Publikumsfondsmanager, institutioneller ESG-Investment- und Strategieberater sowie Kolumnist für EXXECNEWS INSTITUTIONAL.
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