Die Verordnung (EU) 2019/2088 (Taxonomie-Verordnung) gehört zum Aktionsplan der Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Sie regelt europaweit einheitlich die Definition und Kennzeichnung ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten und soll so umweltverträgliche Investitionen fördern und Greenwashing vorbeugen. Die EU-Kommission ist der Auffassung, dass auch Investitionen in bestimmte Erdgas- und Atomkraftaktivitäten beim ökologischen Wandel eine Rolle spielen. Deshalb schlug sie vor, diese Aktivitäten als Übergangstätigkeiten einzustufen, die zum Schutz des Klimas beitragen. Weder das EU-Parlament noch der Rat haben ihr Veto gegen den Kommissionsvorschlag eingelegt, der damit am 1. Januar 2023 in Kraft tritt. Wir haben vor diesem Hintergrund die Verbände der deutschen Kapitalanlage-Branche gefragt: Welche Auswirkungen sehen Sie aus der Entscheidung, Gas- und Atomenergie-Investitionen in die Taxonomie einzubeziehen, für die deutsche Investmentindustrie?
Frank Dornseifer, Geschäftsführer Bundesverband Alternative Investments e.V. (BAI)
„Die umstrittene Einbeziehung von Atomkraft und Erdgas in das EU-Klassifikationssystem für nachhaltige Investitionen hat aus meiner Sicht verschiedene Dimensionen. Im politischen Kontext wird die Glaubwürdigkeit der Taxonomie – und auch die der Standardsetzer selbst – durch diese Entscheidung massiv geschwächt; die Taxonomie wird ihrer Zielsetzung, Greenwashing zu verhindern, nicht nur nicht mehr gerecht, sie ordnet dies in diesen Sektoren nunmehr quasi unmittelbar an. Und das ist fatal und hat natürlich auch Auswirkungen auf den Investmentkontext. Die Fondsbranche wird sich daher sehr gut überlegen, ob sie diesen Schritt mitgeht. Denn der fade Beigeschmack von Atomkraft und Erdgas im Portfolio wird bleiben und viele Investoren, die wirklich nachhaltig investieren wollen, werden auch trotz der Entscheidung nicht weiter in diese Sektoren investieren. Hinzukommen zudem nicht unerhebliche rechtliche Zweifel an dieser Entscheidung, die zur Zurückhaltung bei derartigen Investments gebieten. Insgesamt also eine ziemlich verfahrene Situation.“

Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI:
„Ob Atomenergie und Erdgas als ‚nachhaltig‘ oder ‚nicht nachhaltig‘ anzusehen sind, kann und will die Fondswirtschaft nicht bewerten. Es wäre besser gewesen, die beiden Themen nicht in die Taxonomie aufzunehmen, weil sie sehr umstritten sind und damit die Glaubwürdigkeit der Taxonomie gefährden.“

Dr. Kerstin Altendorf, Pressesprecherin/Spokeswoman Bundesverband
deutscher Banken e.V. als diesjähriger Koordinator der Deutschen Kreditwirtschaft (DK):
„Der Deutschen Kreditwirtschaft ist wichtig, dass die der EU-Taxonomie zugrunde liegenden Kriterien auf Basis wissenschaftlicher Standards abgeleitet werden. Zudem sollten sie nachvollziehbar und praktikabel sein. Nur so kann eine glaubwürdige und in der breiten Öffentlichkeit akzeptierte EU-Taxonomie erreicht werden. Gleichzeitig wird jeglichem aufkommenden Eindruck des Greenwashing vorgebeugt. Nach der heutigen Entscheidung des Europäischen Parlaments herrscht nun einerseits rechtliche Klarheit darüber, dass fossiles Gas und Atomenergie als Übergangstechnologien unter bestimmten Umständen als ökologisch nachhaltig im Sinne der Taxonomie klassifiziert werden können. Anderseits könnte die Folge ein Nebeneinander unterschiedlich anerkannter Klassifikationen sein, das den Nutzen der Taxonomie weiter einschränkt. Denn es ist nicht garantiert, dass Investoren fossiles Gas und Atomenergie als nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten im Sinne der Taxonomie berücksichtigen werden.“

Volker Weber, Vorsitzender des Vorstands des Forums Nachhaltige Geldanlagen FNG:
„Das FNG hat sich bereits frühzeitig in diesem Prozess positioniert und der Aufnahme von Gas- und Atomenergie in die EU-Taxonomie eine Absage erteilt. Dies spiegelt sich im Bereich der Kernenergie auch in den Mindeststandards des FNG-Siegels wider, die Kernkraft aus dem Anlageuniversum ausschließen. Generell mag es Investment-Ansätze wie zum Beispiel den Best-in-Class Ansatz geben, der auch weiterhin eine Investition in Atom und Gas erlauben würde, doch können sich die Investor:innen aufgrund der Offenlegungsverordnung oder des EU-Transparenzkodexes vor der Investmententscheidung ein Bild machen, wie das Investment mit dem Thema „Atom und Gas“ umgeht. Solange die gesellschaftliche Akzeptanz gerade für Atomenergie nicht mehrheitlich gegeben ist, sehe ich keine grundlegende Änderung in der Investmentstrategie bei nachhaltigen Investmentfonds.“
