Die Digitalisierung hat in den vergangenen Jahren zu einem grundlegenden Wandel der Kommunikation, des Konsumverhaltens und des wirtschaftlichen Geschehens geführt. Vor diesem Hintergrund wird häufig die Frage gestellt, ob das digitale Zeitalter nicht auch neue, digitale Geldformen erfordere. In jüngster Zeit rückte digitales Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currencies) in den Fokus. Erst kürzlich veröffentlichte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage unter 65 Zentralbanken: Demnach beschäftigen sich 86 Prozent der befragten Zentralbanken mit der Einführung einer digitalen Währung.
In Europa stehen Zentralbanken vornehmlich durch drei Entwicklungen vor neuen Herausforderungen. So wird in einigen Ländern Bargeld seltener genutzt. Zudem eröffnet die Digitalisierung neue technische Möglichkeiten etwa aufgrund der Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Schließlich engagieren sich die internationalen Big-Tech-Unternehmen immer stärker im Zahlungsverkehr. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklungen in Teilen noch verstärkt und beschleunigt.
Abnehmende Bargeldnutzung
Die Pandemie führte infolge der Lockdown-Maßnahmen zu einem Boom im Onlinehandel und damit zu mehr Internetzahlungen. Insgesamt hat sich die Art und Weise, wie am Point-of-Sale gezahlt wird, stark verändert. Während vor Ausbruch der Pandemie in Deutschland etwa 74 Prozent aller Zahlungen mit Bargeld abgewickelt wurden, gaben in einer repräsentativen Erhebung der Bundesbank aus dem Jahr 2020 nur noch 60 Prozent aller Befragten an, mit Bargeld zu bezahlen. Dies dürfte besonders mit der Aufforderung zusammenhängen, auch an der Ladenkasse physische Kontakte möglichst zu vermeiden. Eine verlässliche Einschätzung, ob dieser Trend auch nach der Pandemie andauert oder lediglich vorübergehender Natur gewesen sein wird, ist allerdings schwierig. Sollten jedoch die Bargeldnutzung weiter abnehmen oder digitale Zahlsituationen weiter deutlich an Bedeutung gewinnen, würde ein digitaler Euro den Bürgern den Zugang zu risikolosem Zentralbankgeld und dessen Nutzung im modernen Zahlungsverkehr sicherstellen.
Digitalisierung im Zahlungsverkehr
Schon seit Jahrzehnten wird der deutsche Zahlungsverkehr in weiten Teilen elektronisch und somit beleglos abgewickelt. Mittlerweile nutzt eine Mehrheit der Verbraucher für Überweisungen das Online-Banking. Auch Kartenzahlungen gewannen innerhalb weniger Jahre deutlich an Bedeutung, nicht zuletzt durch die Möglichkeit, kontaktlos mit der Karte oder per Smartphone zu bezahlen.
Seit dem Jahr 2009 wird intensiver über elektronische Geldsysteme diskutiert, die wie Bargeld einen direkten Übertrag zwischen Zahler und Empfänger ermöglichen sollen, ohne dass Banken oder andere zentrale Institutionen zwischengeschaltet sind. Das prominenteste Beispiel ist Bitcoin. Die Verfahren beruhen vielfach auf der DLT und privat emittierten digitalen Token als Zahlungsmittel. Die DLT hat zweifelsohne das Potenzial, den Zahlungsverkehr noch effizienter zu gestalten, gerade auch im grenzüberschreitenden Bereich.
Aber die Qualität eines neuen Zahlungsmittels wird nicht nur durch die Technik bestimmt, sondern vor allem von der Vertrauenswürdigkeit der herausgebenden Stellen. Bisher emittierte private Token werden weder als Tauschmittel weithin akzeptiert, noch sind sie in ihrem Wert stabil. Ein sehr deutlicher Beleg für die fehlende Werthaltigkeit ist dabei der Kursverlauf des Bitcoins im Jahr 2021. Lag dieser im April noch bei rund 63.000 US-Dollar je Bitcoin, ist er inzwischen auf knapp 39.000 US-Dollar je Bitcoin gefallen. Insofern etablierten sich solche Krypto-Token nur in Nischenbereichen, sie werden vor allem als Spekulationsmittel genutzt.
Interessant erscheint aber das Potenzial der DLT für programmierbare Anwendungen in Industrie und Handel. So ist es zum Beispiel mit Hilfe von „Smart Contracts“ möglich, einen Zahlungsvorgang automatisch auszulösen. Solche programmierbaren Zahlungen können komplexe Geschäftsprozesse vereinfachen und beschleunigen. Gerade im „Internet der Dinge“ könnten auf dieser Grundlage Zahlungen zwischen Maschinen erfolgen sowie Pay-per-use-Modelle auch mit kleineren Zahlungsbeträgen möglich sein.
Markteintritte von Big-Tech-Unternehmen
In den vergangenen Jahren etablierten sich verschiedene neue Akteure im Zahlungsverkehr. Dabei handelt es sich zum einen um innovative, stark technikorientierte Neueinsteiger, die Fintechs. Zum anderen führte die rasante Entwicklung des Internets zur Entstehung global operierender Big-Tech-Unternehmen wie Apple, Google oder Facebook. Diese Anbieter dringen nun ebenfalls mit eigenen Zahlungsdienstleistungen auf den Markt. Dabei können sie Synergien nutzen, indem sie mit ihren Plattformen eine breite Angebotspalette abdecken, passgenaue Angebote aus den ihnen vorliegenden Kundeninformationen erstellen und Zahlungen nahtlos in Kaufprozesse integrieren.
Einige Anbieter gehen sogar noch einen Schritt weiter und planen die Ausgabe eigener Token zu Zahlungszwecken. Um das Manko der hohen Volatilität anderer Krypto-Token auszugleichen, plant ein Unternehmenskonsortium unter Beteiligung von Facebook zum Beispiel, einen Stablecoin unter dem Namen „Diem“ auszugeben. Dabei soll eine wertstabile Entwicklung im Vergleich zum US-Dollar gewährleistet werden, indem die ausgegebenen Stablecoins durch liquide Vermögenswerte in US-Dollar gedeckt sind. Zentralbanken prüfen solche Vorhaben im Lichte ihrer eigenen Aufgabenerfüllung sehr genau und wirken an einer angemessenen Regulierung mit. Dabei bedarf es gerade bei Stablecoins mit globalem Anwendungsbereich einer engen Kooperation der Regulatoren auf internationaler Ebene.
Digitales Zentralbankgeld
Neben der fortwährenden Beobachtung neuer Entwicklungen von digitalem Geld beschäftigen sich Notenbanken auf der ganzen Welt zunehmend auch mit der Frage, ob sie Zentralbankgeld in digitaler Form ausgeben sollten. Das bestehende Angebot an Zahlungsmitteln könnte weiter ergänzt werden. Im Eurosystem – zwischen der Europäischen Zentralbank und den Zentralbanken des Euroraums – werden diese Diskussionen unter dem Stichwort „digitaler Euro“ geführt. Ein digitaler Euro für die Allgemeinheit, also sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen, würde das analoge Bargeld und das Buchgeld ergänzen.
Der digitale Euro wäre überall im Euroraum einsetzbar, einfach zu nutzen, insbesondere auch für Bevölkerungsgruppen, die bislang keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu digitalen Zahlungsangeboten haben. Zudem würde er ein hohes Niveau an Datenschutz und Privatsphäre gewährleisten und wäre wie Bargeld für die Nutzer kostenfrei. Bisher steht noch nicht fest, ob das Eurosystem die derzeitigen Überlegungen in ein konkretes Projekt überführen wird und wie die genaue Ausgestaltung eines digitalen Euro aussehen soll. Ein digitaler Euro könnte etwa als Kontoguthaben oder als Token von der Zentralbank zur Verfügung gestellt werden. Aus Zentralbanksicht sollte auch bei einem digitalen Euro die heute bestehende Zweistufigkeit des Bankensystems fortgeführt werden, in dem die Zentralbanken für die Ausgabe und die Banken für die Weitergabe des neuen digitalen Zentralbankgeldes an ihre Kunden zuständig wären. So wie auch heute die Ausgabe des Bargelds über die Geschäftsbanken erfolgt.
Noch viele offene Punkte
In der Debatte um einen digitalen Euro geht es um das zusätzliche Angebot von staatlichem, digitalen Geld, woraus sich weitreichende Einflüsse auf Geldpolitik und Finanzstabilität ergeben könnten. Insbesondere das Risiko eines strukturellen Abflusses von Bankeinlagen hin zu digitalem Zentralbankgeld und die Gefahr digitaler Bank-Runs müssen genau analysiert werden. Zur Eindämmung dieser Risiken wären beispielsweise feste Obergrenzen oder eine nachteilige gestaffelte Verzinsung bei Beträgen über einem gewissen Schwellenwert denkbare Handlungsoptionen. Weitere Diskussionen betreffen die Frage, ob ein digitaler Euro auch ohne Netzanbindung funktionieren müsste (Offline-Funktionalität), wie mit potenziellen Cyberrisiken umgegangen würde und wie sicherstellt wird, dass der digitale Euro von allen Marktteilnehmern akzeptiert würde. Zusätzlich muss näher untersucht werden, wie die Wahrung von Privatsphäre und Datenschutz mit den regulatorischen Anforderungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in Einklang gebracht werden kann. Hierbei setzt das Eurosystem auf den intensiven Austausch mit Geschäftsbanken und anderen relevanten Akteuren. Die Kooperation mit anderen Zentralbanken auch außerhalb Europas ist dabei ausgesprochen wertvoll.
Ausblick:
Die Diskussion um digitales Zentralbankgeld wird nicht nur im Eurosystem, sondern auch von anderen Zentralbanken offensiv geführt. Mit dem Sand-Dollar auf den Bahamas gibt es immerhin schon ein konkretes Anschauungsbeispiel. Die chinesische Zentralbank möchte für die Olympischen Winterspiele im Februar 2022 in Peking Automaten aufstellen, in denen ausländische Besucher gegen Devisen einen digitalen Renminbi auf ihr Smartphone laden können. Und im Juli wird der EZB-Rat darüber entscheiden, ob die Arbeiten am digitalen Euro in Form einer Untersuchungsphase fortgeführt werden. Ein digitaler Euro kann nur erfolgreich werden, wenn er den Marktteilnehmern eine benutzerfreundliche, attraktive Ergänzung zu den bestehenden Zahlungsmitteln bieten kann. Dies wird ohne einen engen Austausch zwischen Zentralbanken, Banken sowie Nutzern nicht gelingen.
Ein Beitrag von Burkhard Balz, Vorstandmitglied der Deutschen Bundesbank.