Nachhaltigkeit ist mehr als Marketing

Volker Weber im Anzug

Das FNG sorgt mit helfenden und orientierenden Angeboten für Qualität und Standards

Das FNG verkörpert die beharrliche Arbeit zum Thema nachhaltige und wirkungsorientierte Kapitalanlage in Deutschland. Eine lange Strecke dieses Weges hat Volker Weber als Vorsitzender des Vorstandes maßgeblich mitgestaltet. Ich habe mich mit ihm über die Arbeit des Sustainable Finance-Beirates, verpasste Chancen und den Weg zu mehr Geschwindigkeit in der Transformation unterhalten.

ENI: Herr Weber, Sie lenken seit fast 15 Jahren die Geschicke des FNG. Was hat sich in dieser Zeit grundlegend verändert?

Weber: Es ist richtig, dass ich in 2007 den Vorsitz des Verbandes übernommen habe. Seitdem ist vieles passiert. Zu diesem Zeitpunkt waren Nachhaltige Geldanlagen noch sehr in der Nische verhaftet. Es gab allerdings bereits die Weltklimaberichte mit all ihren warnenden Vorträgen auf die drohende Klimakrise, doch hat sich das auf die Finanzwirtschaft nicht ausgewirkt. Im Gegenteil wir hatten die Zeit der Lehman-Pleite und der Finanzmarktkrise, mächtige Krisen, die es uns nicht leicht gemacht haben, Aufmerksamkeit zu bekommen. Das hat sich mit der Deep-Water-Horizon Katastrophe im Golf von Mexiko und Fukushima im Jahre 2011 geändert. Seither hat auch ESG und Nachhaltigkeit in die Unternehmensanalyse Einzug gehalten. Heute ist Nachhaltigkeit und ESG im Mainstream, dank auch der seit 2018 geltenden EU-Regulierung.

ENI: Worauf sind Sie besonders stolz, wenn Sie die Entwicklung des FNG in dieser Zeit betrachten?

Weber: Es erfüllt mich mit einer gewissen Zufriedenheit, dass wir von Seiten des FNG den Markt richtig eingeschätzt haben und den Markt vor allem in unserem Vereinsgebiet zielorientiert unterstützt haben.
Das begann 2008 mit der Veröffentlichung des Transparenzkodex, nach dem die nachhaltigen Fonds alle relevanten Informationen wie z. B. die eigene Definition von Nachhaltigkeit, der angewandten Nachhaltigkeitsstrategie sowie weitere grundlegende Informationen offen legen. Also bereits damals eine „Offenlegungs-Verordnung“ in der Anwendung.
2012 haben wir einen weiteren Marktstandard mit den Nachhaltigkeitsprofilen geschaffen, die sich vor allem an Vermittler von Nachhaltigen Fonds richten und einen sehr guten Überblick über die Funktionsweise eines Nachhaltigen Investmentfonds geben.
2015 haben wir dann mit dem FNG-Siegel das Sahnehäubchen geschaffen, heute gilt das FNG-Siegel als Qualitätsstandard und als das deutsche SRI-Siegel.
Und natürlich auf die jährlichen FNG-Marktberichte, die es uns ermöglichen die Entwicklung Nachhaltiger Geldanlagen faktenbasiert zu dokumentieren.

Insgesamt freut es mich sehr, dass das FNG als das Kompetenz-Center für Nachhaltige Geldanlagen in der Politik, Finanzwirtschaft und Zivilgesellschaft wahrgenommen wird. Wir genießen eine hohe Wertschätzung – so mein Eindruck. Dazu tragen vor allem die Mitarbeitenden bei, die mit viel Authenzität und Engagement sich jeden Tag für das FNG einsetzen.


ENI: Als Sie – und zu diesem Zeitpunkt war das FNG gerade erst 5 Jahre alt – mit Ihrer Arbeit begannen, war das Thema alles andere als im Mittelpunkt des Interesses. Heute drängeln sich die Marktteilnehmer um die Aufmerksamkeit, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Wie kann sich das FNG bei all den Stimmen als ordnendes Element einbringen und die weitere Entwicklung beeinflussen?

Weber: Wie schon ausgeführt, haben wir es geschafft für Qualität und Standards zu sorgen, in dem wir helfende und orientierende Angebote wie Transparenzkodex, Nachhaltigkeitsprofil und FNG-Siegel an den Markt gebracht haben, die einmalig sind.
Weiterhin haben wir es mit viel Engagement geschafft, zu zeigen, dass wir über viel Kompetenz und Wissen auf diesem Gebiet der Kapitalanlagen verfügen. Dazu haben wir mit allen Stakeholdern unzählige Gespräche geführt und so von unserer Leistungsfähigkeit überzeugt.
Im Moment kommen natürlich viele neue Akteure auf den Markt, aber auch hier wird nach Orientierung gesucht. Wir sehen in den steigenden Mitgliederzahlen auch einen Beweis dafür, dass unsere Expertise weiterhin gefragt ist. Und die Berufung als Beobachter in den neuen Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung unterstreicht das. Es ist aber auch eine große Verpflichtung, nicht mit unserem Engagement nachzulassen – im Gegenteil, die Taktzahl erhöht sich gerade.

ENI: Viele Marktteilnehmer sehen die Transformation wohl aktuell vor allem als eine Herausforderung von Marketing und Kommunikation. Wie kommt mehr Ernst in die Angelegenheit? (Hierzu auch ENI Interview mit Thomas Richter – Hauptgeschäftsführer BVI in der Ausgabe 5 2022)

Weber: Dem kann ich nur zustimmen, viele Marktteilnehmer haben das Thema Nachhaltige Geldanlagen auch und vor allem unter dem Aspekt Marketing gesehen. Gerade zu Beginn der Umsetzung des EU-Aktionsplans mag das der wichtigste Grund gewesen sein. Doch mittlerweile ist klar, dass Nachhaltigkeit mehr als nur Marketing ist. Auch die jüngsten Vorkommnisse rund um das Thema „Greenwashing“ werden dazu führen, dass die Nachhaltigkeits-Prozesse noch besser abgestimmt und dokumentiert werden. Die EU- und zunehmend auch die nationale Regulierung tun das Übrige, dass nicht mehr nur Marketing im Vordergrund steht, Reputation und institutionelle Glaubwürdigkeit treten nun als wichtige Faktoren hinzu.

ENI: Die Bundesregierung hat soeben die neue Zusammensetzung des Sustainable Finance-Beirats bekannt gemacht. Ein Gremium in dem das FNG seine Rolle als „Ständiger Beobachter“ hat. Hat dieses Gremium genug Durchschlagskraft?

Weber: Ich bin sehr froh, dass das FNG wieder im Beirat vertreten ist. Was das Gremium bewirken kann, lässt sich aktuell nur schwer einschätzen. Der Beirat ist divers aufgestellt, da läßt es sich immer trefflich diskutieren, warum diese Person und nicht eine andere dort vertreten ist. Allerdings hat mich das Anspruchsniveau schon überrascht, was bitte ist denn ein führender Standort für Sustainable Finance? Die bisherigen Aussagen der federführenden Ministerien sind sehr vage, es ist mir nicht klar, in wie weit der Abschlussbericht des alten SFB eine Rolle spielt? Welche Themen sind der Politik wichtig? Mehr Orientierung wäre gerade im Hinblick auf zeiteffizientes Vorgehen wichtig. Aber vielleicht kommt das ja noch.

ENI: Bei den vielen Herausforderungen, die aktuell politisch zu bewältigen sind, ist nicht erkennbar, dass dem wirkungsorientierten Einsatz von Kapital aus der institutionellen Welt genügend Aufmerksamkeit gegeben wird. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Weber: Dem institutionellen Kapital ist anzumerken, dass weiterhin die Finanzrendite im Vordergrund der Betrachtungsweisen von Investitionen stehen. Kommt ESG dazu ist es fein. Der Handlungsbedarf besteht meines Erachtens auch in der Überzeugungsarbeit, dass wirkungsorientiertes Kapital mindestens die gleiche Finanzrendite erwirtschaften kann, wie konventionelles Kapital. Wir müssen mehr über die zu erzielenden ökologischen und sozialen Renditen, die der Finanzrendite bei diesen Investments beiwohnen berichten und durch Daten und Fakten unterlegen können. Das bedeutet, hier ist Datenqualität zu schaffen und zusammen mit der Wissenschaft Messverfahren einzurichten, die mit überzeugenden Ergebnissen auch institutionelle Investoren in der Breite überzeugen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

ENI: Die Energiewende soll und muss schnell gelingen („Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien“ siehe hier auch ENI Interview mit Dr. Florian Toncar in der Ausgabe 4 2022). Institutionelle Vermögensmassen sind aber durch die aktuelle Form der Regulierung stark eingeschränkt, um bei der Finanzierung der Energiewende eine bedeutende Rolle zu spielen. Was muss sich ändern?

Weber: Oh, ja die Energiewende muss schnell gelingen, das höre ich schon jahrelang, allein mir fehlt der Glaube daran, es gab bereits unter der ersten Rot/Grünen Regierung von Schröder/Fischer einen klaren Ausbaupfad für Erneuerbare, das ist bereits über 20 Jahre her. So richtig abgeschlossen ist das immer noch nicht. Ich sehe aber neben der Rolle der Finanzwirtschaft, den Ball im Spielfeld der Politik. Denn die muss endlich mal Versprochenes umsetzen und ein „Fertig“ melden. Ich meine damit vor allem die unsäglich langen Genehmigungsverfahren für Infrastruktur-Projekte, wie die Erneuerbaren es sind, deutlich zu verkürzen. Es ist zwar angekündigt im Koalitionsvertrag das zu tun, aber es ist eben mal wieder nur angekündigt nicht umgesetzt. Den institutionellen Anlegern muss die Möglichkeit durch eine Assetklasse „Infrastruktur“, die klar von den Quoten für verzinsliche Wertpapiere kommen muss, gegeben werden, Portfolien im grossen Stiele in diesem Bereich aufzubauen. Es müssen also Umwidmungen im Bereich der regulatorischen Anlageklassen stattfinden. Eine Investitionsneigung bei Investoren ist da.

ENI: Das FNG ist als Kompetenzzentrum über die Begleitung der Fondsindustrie groß geworden. Welche Bedeutung werden zukünftig Alternative Assets in der Entwicklung des FNG spielen?

Weber: Das FNG hat bereits vor einiger Zeit schon die Bedeutung von Alternativen Assets erkannt. Zusammen mit dem Umweltministerium und anderen Organisationen hat das FNG bereits 2017 einen Leitfaden für nachhaltige Startups entwickelt. Weiterhin hat das FNG Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich mit grünen Immobilien beschäftigen und wir gehen mit anderen Verbänden Kooperationen ein, um unsere Expertise in Nachhaltigkeit mit dem Knowhow anderer Organisationen zusammen zu bringen, so etwa schon geschehen mit dem BVI.

ENI: Was sind die wichtigsten Ziele des FNG für den Rest des Jahres 2022?

Weber: Zu einem permanenten Ziel ist der kontinuierliche Aus- und Aufbau der FNG-Geschäftsstelle geworden. Doch auch die am 02. August 2022 in Kraft tretenden MIFID II Regelungen sehen uns in der Verantwortung durch unsere FNG-Akademie die Berater:innen durch Schulungen zu unterstützen. Und dann sind wir im November auf die Verleihung des diesjährigen FNG-Siegel gespannt. Aufgrund der Dynamik im Umfeld der Regulierung werden kurzfristig weitere Anforderungen auf uns zukommen, ich denke Langeweile kommt nicht auf.

ENI: … und welches sind die größten Herausforderungen?

Weber: Noch ist aus meiner Sicht die EU-Regulatorik gut gemeint. Gut gemacht ist sie noch nicht. Ich befürworte klar die Vorgaben mit den Herzstücken EU-Taxonomie und EU-Offenlegungsverordnung.
Doch muss der Regulierer für sich entscheiden, wie tief er Regelungen aufsetzen will oder ob es auch Freiräume, geben kann. Der Grat zur Überregulierung ist schmal. Auch die deutsche Regulierung muss sich entscheiden, nationaler Sonderweg oder EU-weite Harmonisierung? Hier werden wir uns einbringen.
Und weiterhin liegt uns die Steigerung der Qualität Nachhaltiger Geldanlagen am Herzen, das reicht von der Produktkonzipierung bis zum Vertrieb. Hier ist noch viel zu tun und wird uns auf Jahre hin beschäftigen. 

Volker Weber im Anzug
Volker Weber ist seit September 2007 Vorsitzender des Vorstands des Forums Nachhaltige Geldanlagen mit Sitz in Berlin. Bis Juli 2016 war er als Finanzvorstand (CFO) der MAMA Sustainable Incubation AG tätig. Das Forum Nachhaltige Geldanlagen e.V. (FNG) ist ein Fachverband für Nachhaltige Geldanlagen in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz. Er repräsentiert über 230 Mitglieder, die sich für mehr Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft einsetzen.
www.forum-ng.org

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