Christian Mosel ist Hauptgeschäftsführer der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe. Dabei ist er kein typischer Chef eines Versorgungswerks, obwohl er viel für diesen Job mitgebracht hat. Als langjähriger Manager von Banken und Asset Managern ist er der großen Aufgabe besonders gewachsen: die Klippen eines risikoreichen Kapitalmarktes mit Umsicht zu umschiffen und die Risiken mit Weitblick im Auge zu behalten. Mit unternehmerischem Anspruch trägt er dazu bei, die Geschicke eines der größten deutschen berufsständischen Versorgungswerke zu lenken. Über die wichtigsten Herausforderungen und Ansprüche hat unser Herausgeber Hans-Jürgen Dannheisig mit ihm gesprochen.
ENI: Herr Mosel, Sie sind jetzt bereits seit 2017 Geschäftsführer für die ÄVWL. Was hat Sie in dieser Zeit besonders stolz gemacht?
Christian Mosel: Eingeprägt hat sich für mich die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf unseren Geschäftsbetrieb. Ich bin sehr froh darüber, dass wir als Geschäftsführung in enger Abstimmung mit dem Personalrat frühzeitig – nämlich noch vor den ersten politisch verordneten Schutzmaßnahmen – reagiert haben: Von einem Tag auf den anderen konnten wir den Großteil unserer Beschäftigten ins Homeoffice schicken. Neben dem Schutz unserer Beschäftigten ist es uns so gelungen, die Funktionsfähigkeit unseres Versorgungswerkes, gerade in den Kernprozessen wie der Auszahlung der Renten und der Beitragserhebung, aber auch der Geld- und Kapitalanlage, jederzeit aufrechtzuerhalten. Mein Dank gilt den Mitarbeitenden, die so flexibel wie engagiert mit der Situation umgegangen sind. Ebenso dankbar bin ich den Selbstverwaltungsgremien – Verwaltungsausschuss und Aufsichtsausschuss, die die Maßnahmen stets mitgetragen und uns alle notwendigen Freiheiten gelassen haben. Alles in allem haben wir diese nicht einfache Zeit gemeinsam als Team bestmöglich gemeistert, darauf bin ich als Hauptgeschäftsführer sehr stolz – diese Erfahrungen sollten uns in die Lage versetzen, auch für die nächste Zeit die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir haben viel über Krisen, deren Bestehen und unsere Resilienz gelernt.
ENI: Heute stehen alle verbindlichkeitsorientierten Anleger vor großen Herausforderungen. Die Zinswende ist ein quälender Prozess mit vielen Risiken. Der Krieg in der Ukraine erfordert viele Risikobetrachtung nochmals neu. Corona hat das Bewusstsein für Abhängigkeiten ebenfalls geschärft. Wie haben Sie das Versorgungswerk auf diese Risikolandschaft eingestellt und welche Herausforderungen sind für Ihr Haus die größten?
Mosel: Der negative Realzins der letzten Jahre war eine große Herausforderung und er bleibt bestehen für Kapitalanleger wie die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe. In der Vergangenheit wurde die Übernahme von Risiken nicht in der jeweils erzielbaren Marktrendite ausreichend eingepreist. Die Renditeaussichten bei festverzinslichen Wertpapieren waren in diesen Zeiten natürlich unterhalb dessen, was wir erwirtschaften müssen, um die Leistungsversprechen gegenüber unseren Mitgliedern und Rentenbeziehenden adäquat erfüllen zu können. Dass wir dennoch unsere selbstgesteckten Ziele erreicht haben, verdanken wir einer breit diversifizierten Anlagestrategie, im Rahmen derer wir auch risikobehaftetere Anlagen getätigt haben. Elementar dafür ist natürlich ein ausreichendes Risikokapital. Insofern eröffnet uns die geänderte Marktsituation mit einem positiven Zins hinsichtlich des Neugeschäfts einige Chancen.
Eine weitere Herausforderung für uns als Versorgungswerk ist die Entwicklung der Beitragseinnahmen auf der einen und der Aufwendungen für Versorgungsleistungen auf der anderen Seite. Diese müssen unbedingt im Einklang miteinander bleiben. Insofern hoffen wir, dass der Arztberuf weiterhin attraktiv bleibt und sich viele junge Menschen dafür entscheiden, diesen auszuüben – und natürlich auch die Höchstbeiträge zum Versorgungswerk zu leisten. Mit Blick auf die Beitragsproduktivität, also die Steigerung der durchschnittlich von jedem aktiven Mitglied gezahlten Versorgungsabgabe, haben wir diese Sorge aktuell jedoch weniger. Sie lag 2021 mit 3,2 Prozent um ein Prozent oberhalb des Vorjahreswertes. Außerdem konnten wir im Jahr 2021 mit 2.623 Ärztinnen und Ärzten erneut einen stabilen Neuzugang verzeichnen. Das ist für uns als Versorgungswerk essenziell.
Ebenso elementar ist es für uns, als Arbeitgeber am Standort Münster weiterhin für qualifiziertes Personal attraktiv zu bleiben und zu einer Modernisierung der flexiblen Arbeitswelt – Stichwort Vereinbarkeit von Beruf und Familie – beizutragen. Neben unserem künftigen Verwaltungsneubau am Hafen Münsters bieten wir unseren Mitarbeitenden mit einem flexiblen Zeitmodell ein attraktives Beschäftigungsumfeld.
ENI: Als eines der größten Versorgungswerke in Deutschland haben Sie schon früh Kapazitäten aufgebaut, um sich stark auch mit alternativen Assets und Immobilen auseinander zu setzen. Wie ist heute Ihre Allokation und wie wollen Sie sie weiterentwickeln?
Mosel: Das Portfolio der ÄVWL hat sich in den vergangenen Jahren spürbar verändert. Wir haben uns früh, nämlich bereits vor einigen Jahren, auf verschiedene „Wetterlagen“ eingestellt. Der Anteil an realen Vermögenswerten ist deutlich gestiegen. Unser Versorgungswerk legt sein Augenmerk verstärkt auf illiquide Assets wie Immobilien, Private Equity oder Infrastrukturinvestments. Gerade im Falle der Alternatives und der damit verbundenen Illiquiditätsprämien sind wir mit dem organisatorischen Setup und der Performance zufrieden. Den eingeschlagenen Weg wollen wir daher beibehalten.
ENI: Wenn Sie keinen regulatorischen Rahmen hätten, wie wäre dann eine Zielallokation?
Mosel: Unsere Zielallokation würde sich in diesem Fall nicht von der jetzigen/tatsächlichen unterscheiden. Da wir unsere ökonomischen Ziele durch die genannte Allokation erreichen können, würde sich durch das Fehlen eines regulatorischen Rahmens für uns – Stand heute – auch nichts verändern. Wir würden das Gleichgewicht zwischen erforderlichen Renditen und der Tragung der damit verbundenen Risiken auch weiterhin halten.
ENI: Welche Änderungen an Regulierung und Konstruktion der Arbeit Ihres Versorgungswerkes wären hilfreich?
Mosel: Wir stehen im engen Kontakt mit unserer Aufsichtsbehörde, dem Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen. Dies ermöglicht uns, Problemfelder frühzeitig aufzuzeigen und gegebenenfalls gemeinsam hinsichtlich möglicher Lösungswege zu erörtern. Denn schließlich haben die Finanzaufsicht und wir als Geschäftsführung dasselbe Ziel, nämlich die Funktionsfähigkeit der Versorgungswerke in NRW und damit verbunden die langfristige Erfüllbarkeit unserer Verpflichtungen gegenüber den Mitgliedern und Rentenbeziehenden. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen kann ich sagen, dass wir uns verstanden und unterstützt fühlen; das Miteinander hat sich bewährt und funktioniert.
ENI: Wie kommunizieren Sie die Herausforderungen und ihre Lösungswege mit den Menschen, deren Altersversorgung Sie managen?
Mosel: Zum einen präsentiert die Ärzteversorgung auf der Kammerversammlung der Ärztekammer Westfalen-Lippe im Juni jedes Jahr den Geschäftsbericht des zurückliegenden Geschäftsjahres. Alle Zahlen, Daten und Fakten werden nicht nur während dieser Sitzung, sondern permanent im Laufe des gesamten Geschäftsjahres offengelegt. Den Geschäftsbericht können unsere Mitglieder und auch andere Interessierte bei Bedarf auf unserer Website herunterladen. Daneben erscheint einmal im Jahr unser Versorgungs-Magazin mit allen wesentlichen Informationen rund um unser Versorgungswerk, das alle unsere Mitglieder und Rentenbeziehenden erhalten.
Im Rahmen der regelmäßigen Sitzungen der Selbstverwaltungsgremien – dem Verwaltungs- und dem Aufsichtsausschuss sowie dem Audit Committee – informieren wir die von der Kammerversammlung gewählten Ausschussmitglieder über aktuelle Entwicklungen – von der Kapitalanlage bis zum organisatorischen Rahmen – unseres Versorgungswerkes. Insofern stehen wir im regelmäßigen Kontakt mit unseren Mitgliedern beziehungsweise deren Interessenvertretungen.
ENI: Ist die Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit für die ÄVWL – und für Sie – eine Sache von Herz und/oder Verstand?
Mosel: Wer sich mit der Ärzteversorgung und ihrer Kapitalanlage beschäftigt, weiß, dass wir uns seit jeher aktiv mit der Frage nachhaltigen Investierens auseinandersetzen. Schließlich handeln wir im Auftrag der Ärztinnen und Ärzte in Westfalen-Lippe, deren ethischem Anspruch wir gerecht werden wollen. Die Einhaltung ethischer, sozialer und ökologischer Faktoren sind entsprechend fester Bestandteil unseres kodifizierten Selbstverständnisses. So waren wir beispielsweise 2012 der erste private Investor des vom damaligen Bundesumweltministerium und der KfW aufgelegten „Global Climate Partnership Funds“. Dieser Fonds fördert Klimaschutz- und Energieeffizienzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Im Kontext einer erweiterten Infrastrukturquote, die uns die Aufsichtsbehörde in Aussicht gestellt hatte und die wir gerne nutzen, haben wir mit externer fachkundiger Unterstützung eine differenzierte ESG-Anlagerichtlinie für unseren Anlageprozess und die Risikoanalyse erarbeitet, die die Selbstverwaltungsgremien am 30. März 2022 verabschiedet haben. Diese umfasst die Ziel-Dimensionen Environment, Social und Governance. Neben der Umweltverträglichkeit unserer Investments achten wir also auf die zwingende Einhaltung von Menschen- und deren Arbeitsrechte durch die jeweiligen Unternehmen. Ebenso müssen diese unbedingt eine Reihe von Standards hinsichtlich ihrer Geschäftspraktiken einhalten, wie zum Beispiel das aktive Verhindern von Korruption. Damit leistet die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe aktiv einen Beitrag zum Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens sowie der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen.
Dieses Vorgehen beruht auf der festen Überzeugung, dass es keinen Konflikt zwischen den Zielen Rendite und Sicherheit auf der einen Seite sowie Nachhaltigkeit auf der anderen Seite gibt. Das Gegenteil ist der Fall: Mit nachhaltigen Investments können wir einerseits an dem enormen Potenzial, das die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft bietet, teilhaben. Wir können andererseits sogar selbst viel bewegen, beispielsweise, indem wir Unternehmen, die selbst noch nicht 100 Prozent nachhaltig wirtschaften, etwa durch die Bereitstellung von Fremdkapital bei ihrem Transformationsprozess unterstützen. Schließlich ist es uns möglich, wichtige nachhaltigkeitsbezogene Entwicklungen früh zu antizipieren, einfach indem wir uns aktiv und intensiv mit der Materie befassen.
Insofern ist die Beschäftigung und konsequente Verfolgung des Ziels Nachhaltigkeit für uns eine Angelegenheit von Herz und Verstand.
ENI: Messen Sie die Wirkung, die Ihr Portfolio auf Umwelt und Gesellschaft hat?
Mosel: Aktuell gibt es unterschiedliche Ansätze, die Wirkung unserer Kapitalanlage auf Umwelt und Gesellschaft zu messen. Auch hier sind wir bereits dabei, uns extern von fachkundiger Stelle aus beraten zu lassen, um bald ein Monitoring installieren zu können.Darüber hinaus bekommen wir bereits heute Rückmeldung unserer Fondsgesellschaften/Fondsmanagenden, die uns beispielsweise jährlich informieren, wie viel Treibhausgasemissionen wir durch ein bestimmtes Investment einsparen konnten.
ENI: Nochmal persönlich: Haben Sie sich 2017 vorstellen können, wie ihr Arbeitsalltag und -inhalt heute aussieht?
Mosel: Nein, ganz sicher nicht. Als verbindlichkeitsgetriebener, öffentlich-rechtlicher Kapitalanleger sieht der Arbeitsalltag grundsätzlich anders aus als der meiner vorherigen Positionen beispielsweise im Vermögensverwaltungsgeschäft. Zudem hat er sich aufgrund der „Umweltveränderungen“ in den letzten Jahren so stark verändert, dass man 2017 sich nicht hätte vorstellen können, was einen konkret erwartet – jedenfalls ging es mir so.
ENI: Was ist Ihr wichtigstes Ziel für den Rest des Jahres 2022?
Mosel: Die größte Herausforderung dieses Jahres, vor der wir als Versorgungswerk stehen, ist dieselbe, die unsere Gesellschaft schon längere Zeit umtreibt. Denn die Veränderung in der Weltwirtschaft und ihre Auswirkungen auf das tägliche Leben werden in diesem Jahr vor allem durch den Ukraine-Krieg bestimmt. Dessen weiterer Verlauf ist unmöglich vorherzusehen. Insofern müssen wir mit weiteren Kapitalmarktschwankungen rechnen. Hinzu kommen die Nachlaufeffekte der Corona-Pandemie, die zum Herbst des Jahres erneut eskalieren könnte. So ist es für dieses Jahr eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für uns, das Versorgungswerk sicher durch die aufkommenden Stürme zu navigieren.

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