Hohe Zinsen, inflationierte Baukosten, Mangel an Fachkräften plus überbordende Bürokratie führen zu nicht vorhergesehenen Kostensteigerungen und Verzögerungen. Es betrifft den Wohn- und Gewerbeimmobilienbereich. Viele Projektentwicklungen sind dadurch gefährdet, ebenso die Unternehmen. Erste Projektentwickler mussten bereits Insolvenzanträge stellen (EXXECNEWS berichtete). Projektstornierungen verschärfen die Situation auch bei der Baubranche und ihren Zulieferern: So stoppen auch Ziegelhersteller bei überquellenden Lagern ihre Produktion.
Wie beurteilen Unternehmen der Wohnungswirtschaft die aktuelle Lage, wollte EXXECNEWS wissen und sprach exemplarisch für die Branche mit Gordon Grundler, Vorstand der Primus Valor AG, Mannheim, und mit Malte Thies, geschäftsführendem Gesellschafter der One Group GmbH, Hamburg.
Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation der Immobilien-Projektentwicklung?
Grundler: Von der Planung eines Bauvorhabens bis zum Einzug der Bewohner vergehen schnell mehrere Jahre. Fundamentale Verschiebungen der Rahmenbedingungen führen angesichts hoher politischer Anforderungen im Neubau beim Exit zu Verlusten, da die hohen Baukosten nur durch unverändert hohe Verkaufspreise profitabel sein können. Was dies im sich aktuell wandelnden Immobilienmarkt – steigende Mieten bei sinkenden Preisen – bedeutet, erleben wir ja gerade.
Thies: Wir sehen in der derzeitigen Situation vor allem solche Unternehmen klar im Vorteil, die über das klassische Projektentwicklungsgeschäft hinaus breiter aufgestellt sind und über diversifizierte Ertragskanäle verfügen. Unsere Konzernmutter Soravia etwa ist neben Projekten auch im Bereich Investments und Finanzierung, Facility-, Property- und Asset-Management, Hospitality und Unternehmensbeteiligungen aktiv. Dies sorgt nicht nur für Resilienz, sondern kann auch dazu in die Lage versetzen, Opportunitäten in einer neuen Marktphase zu ergreifen. Lokale Marktkenntnis und ein starkes Netzwerk sind dabei besonders entscheidend. Ebenfalls hilfreich sind eine solide Kapitalisierung, konservative kalkulierte Businesspläne und gegebenenfalls ein rechtzeitiges Gegensteuern bei etwaigen Herausforderungen.
Neubau – speziell von Wohnimmobilien – ist eine nationale Herausforderung gerade für Projektentwickler. Kann ihr angesichts der schwierigen Lage der Branche überhaupt noch ausreichend entsprochen werden?
Thies: Wir müssen weiter gemeinsam sämtliche Anstrengungen unternehmen, um den Wohnraumbedarf endlich zu decken. Die Einwohnerzahl und damit die Wohnflächennachfrage werden in den kommenden Jahren noch einmal deutlich steigen – gerade in den Metropolen. Der Einbruch der Bauaufträge und -genehmigungen ist vor diesem Hintergrund bitter, bedeutet aber zugleich auch eine gewisse Entspannung bei der Verfügbarkeit und den Kosten von Bauleistungen für Entwickler. Wichtig ist es, auch gezielt den Wohnungsbestand hierzulande zu ertüchtigen und nicht allein auf Neubau zu setzen.
Grundler: Nur sehr gering. Die Nachfrage nach Wohnraum übersteigt schon seit geraumer Zeit das Angebot. In Deutschland fehlen insgesamt 700.000 Wohnungen. Der Einbruch der Neubaubranche im Herbst 2022 hat diese Problematik weiter verstärkt. Unabhängig der problematischen Faktoren für die Baubranche (Kosten und Fachkräftemangel), sollte seitens der Politik die Bürokratie für Neubau-Projekte entschlackt werden. Zudem sollte man sich bewusst machen, dass ein Großteil der deutschen Wohnimmobilien aufgrund ihres teils hohen Alters zukünftig in die „Unvermietbarkeit“ rutschen werden. Mit unserer Bestandssanierung wollen wir daher nicht nur neuen Wohnraum schaffen (Umwidmung, Nachverdichtung, etc.), sondern auch Wohnraum dem Mietermarkt erhalten, damit der Nachfrageüberhang nicht weiter zunimmt.
Wie wirken sich die realen Risiken der Projektentwicklung auf Bestandsimmobilien und Mieten aus?
Grundler: Mit den Entwicklungen, die wir derzeit am Immobilienmarkt erleben, müssen auch wir uns beschäftigen, doch nicht ohne Grund setzen wir seit jeher auf den Erwerb und die Optimierung von Bestandswohnimmobilien. Bestand, vor allem bezahlbarer Wohnraum, wird weiterhin ein knappes Gut bleiben. Im Wohnimmobilienbereich sollten die Preisrückgänge angesichts eines weiterhin sehr engen Wohnungsangebots und sinkender Neubauzahlen, die zu einem weiteren Anstieg der Mieten führen, eher vorübergehend zu sehen sein.
Thies: Risiken müssen eingepreist werden und sorgen daher für weiter steigende Mieten. Gleichzeitig führen Neubaurisiken auch zu einem zunehmenden Fokus auf manage-to-green-Ansätze, also die energetische und sonstige Modernisierung von Bestandsimmobilien mit entsprechenden Wertschöpfungschancen für Investoren. Ein oftmals übersehener Punkt ist dabei auch die regulatorisch bedingte Zurückhaltung von Banken in der Finanzierung. Gekoppelt mit den aktuell reduzierten Bewertungsniveaus vieler Immobilien bieten sich hier gleich doppelt Opportunitäten für Investoren auf der Fremd- wie Eigenkapitalseite.
Welche Investitionsstrategien wenden Sie an, um Risiken der Projektentwicklung zu minimieren?
Thies: Diversifizierung ist nicht mehr wegzudenken. Neben der klassischen Projektentwicklung – idealerweise gestreut über verschiedenste Standorte und Nutzungsarten – gilt es manage-to-green-Strategien zu verfolgen und zusätzlich offen zu sein für andere Opportunitäten am Markt. Bei diesen Alternativen zur Projektentwicklung sind oft verkürzte Investitionszeiträume und attraktive Wertschöpfung möglich. Auch der Leverage spielt selbstverständlich heute eine umso wichtigere Rolle. Wir setzen bewusst auf konservative Beleihung mit Senior Loans.
Grundler: Ganz einfach: Wir sind bewusst kein Projektentwickler. Natürlich nehmen wir entsprechend unserer Strategie „Renovation Plus“ umfangreiche (energetische) Sanierungen und Optimierungen an unseren Objekten vor. Doch hierbei können wir nun in Zeiten erhöhter Materialkosten und Arbeitskräftemangel jede geplante Maßnahme auf ihre Wirtschaftlichkeit überprüfen und gegebenenfalls zeitlich verschieben oder aussetzen. Auch werden wieder bessere Zeiten kommen und unsere Fonds haben ja bewusst eine mehrjährige Laufzeit, um unsere Immobilien entsprechend zu entwickeln. Ein Bestandsobjekt kann auch unsaniert Mieteinnahmen generieren und veräußert werden – ein Neubau-Projekt benötigt eine vollständige Fertigstellung, damit die Rechnung aufgeht.
Sehen Sie Licht am Horizont für die Baubranche und die Immobilien-Projektentwicklung und für wann?
Grundler: Aktuell erwarten wir eher weitere Nachrichten von Pleiten aus dem Bereich der Projektentwickler. Mittelfristig glauben wir, dass die Baukostensteigerung zu einem Ende kommen wird. In Teilbereichen, wie beispielsweise durch das „Leerlaufen“ von Auftragsbüchern, werden wir vermutlich sogar eine leichte Erholung der Preise erleben.
Thies: Die Immobilienbranche wird auch die aktuelle Marktphase überwinden. Der weitere Verlauf hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab, von denen nicht alle in der Hand von Projektentwicklern liegen – sondern etwa auf Seite von Banken, Bauämtern oder Entscheidern in der breiteren Volkswirtschaft. Entsprechend wäre eine präzise Prognose zu diesem Zeitpunkt nicht seriös. Fest steht in jedem Fall, dass Wohnen weiter ein Grundbedürfnis und die Nachfrage entsprechend stabil bleiben wird. Der Rückgang der Neubautätigkeit wird den ohnehin bestehenden Nachfrageüberhang verschärfen. Darüber hinaus bieten sich auch für opportunistische und gut kapitalisierte Akteure wieder zunehmend attraktive Einstiegsmöglichkeiten, sei es durch Probleme einzelner Marktteilnehmer oder bedingt durch die Zurückhaltung klassischer Finanzierer.

Gordon Grundler ist Gründer und Vorstand des Mannheimer Emissionshauses Primus Valor AG. Das 2007 gegründete Unternehmen betreut rund 7.500 Wohn- und Gewerbeeinheiten an 120 bundesweiten Standorten und verwaltet mit der Fondsreihe „ImmoChance Deutschland“ ein Anlagevermögen in Höhe von mehr als 1,1 Milliarden Euro.
Malte Thies ist Geschäftsführer der One Group GmbH (Hamburg), einem Anbieter von Investmentprodukten im Wohnimmobiliensegment in Deutschland. Das Tochterunternehmen der Soravia-Gruppe konzentriert sich auf die alternative Finanzierung von Immobilienprojekten mit dem Fokus auf Wohnimmobilien in deutschen und österreichischen Metropolregionen. Mit den Investmentprodukten der „ProReal“-Serie hat die One Group über 900 Millionen Euro Anlegerkapital eingeworben.