EU-Finanzmarktregulierung stärker an globalen Herausforderungen ausrichten
Umsetzung der vielen EU-Regeln belastet Fondsbranche mit hohen Kosten

Thomas Richter in blauem Sakko und weißem Hemd

Der BVI ist die Interessenvertretung und das Kompetenzcenter der deutschen Fondsindustrie. Die Zielsetzung des Verbandes ist, sich bei Politik, Aufsichtsbehörden und internationalen Institutionen für eine sinnvolle Regulierung des Fondsgeschäfts und für faire Wettbewerbsbedingungen einzusetzen. In dieser Rolle hat sich die Arbeit über die vergangene Dekade jedoch stark verändert.
Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des BVI, war unser Gesprächspartner in einem ausführlichen Gespräch zu den Schwerpunktthemen in der Verbandsarbeit: Die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Assetmanager, die Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge mit Fonds und die Finanzierung der nachhaltigen Transformation der Realwirtschaft.

Dannheisig: Herr Richter, Sie tragen jetzt schon viele Jahre Verantwortung im BVI, dem Kompetenzzentrum der deutschen Fondswirtschaft. Inwiefern ist die Arbeit heute anders als zu Beginn Ihrer Tätigkeit?

Richter: Im Vergleich zu 2010 dominiert heute eine kleinteilige Regulierung aus Brüssel unser Tagesgeschäft. Fast wöchentlich veröffentlichen die EU-Behörden hunderte Seiten mit technischen Regulierungsstandards, Leitlinien und Empfehlungen. Das sind meistens Durchführungsbestimmungen und weitere Anhängsel zu den eigentlichen Verordnungen und Richtlinien, die aber trotzdem hohe praktische Bedeutung haben. ESMA, EBA und EIOPA sind mittlerweile viel mehr als Aufsichtsbehörden. Sie sind eine Art Schattengesetzgeber, der Rechtsstandards setzt. Dieser Machtzuwachs ist eine Antwort der EU auf die Finanzkrise gewesen, hat sich aber zunehmend verselbstständigt. Das Ergebnis ist eine Überregulierung, die Europas Assetmanager inzwischen im globalen Wettbewerb behindert. Die Umsetzung der vielen EU-Regeln belastet die Fondsbranche mit hohen Kosten – Geld, das produktiver eingesetzt werden könnte, zum Beispiel für die weitere Digitalisierung oder die Erschließung von Märkten. Wir setzen uns deshalb dafür ein, die EU-Finanzmarktregulierung künftig stärker an den globalen Herausforderungen auszurichten. Die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Assetmanager sollte Regulierungsziel werden, neben Verbraucherschutz und Finanzmarktstabilität. Damit würde sie bei Abwägungsentscheidungen der EU-Gesetzgeber und Regulatoren mehr Gewicht erhalten.

Dannheisig: Das Funding der Pensionsverpflichtungen und Lösungen für effiziente private Altersvorsorge sind wesentliche Aufgaben der Fondswirtschaft. Welche aktuellen Herausforderungen sind hier zu meistern?

Richter: Das Altersvorsorgesystem in Deutschland ist an vielen Stellen sanierungsbedürftig. In der betrieblichen Altersversorgung haben wir seit 2017 zwar ein gutes Gesetz, aber Gewerkschaften, die nicht mitziehen. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz hat die Zusatzversorgung mit dem Sozialpartnermodell auf ein breiteres Fundament gestellt. Die reine Beitragszusage mit Zielrente und Garantieverbot sowie freiwilliges Opting-out bringen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Vorteile. Trotzdem hat das Modell in der Praxis bisher keine Bedeutung. Die Gewerkschaften tun sich nach wie vor schwer mit dem Kapitalmarkt.

In der privaten Altersvorsorge haben wir zwei Baustellen. Die erste ist die Riester-Rente. Sie ist mit über 16 Millionen Verträgen die erfolgreichste freiwillige private Vorsorge in Europa. Dennoch haben Verbraucherschützer und Teile der Politik sie über Jahre schlecht geredet. Die gesetzliche Beitragsgarantie von 100 Prozent hat die Riester-Produkte zusätzlich ausgebremst. Sie kostet die Anleger wegen jahrelanger Nullzinsen noch immer Rendite, weil die Chancen von Aktien nicht genutzt werden können. Inzwischen gestehen selbst die Gegner der Riester-Rente ein, dass der Zwang zur vollen Beitragsgarantie der Rendite schadet. Die zweite Baustelle sind die Überlegungen zu einem Staatsfonds in der dritten Säule. Den lehnen wir ab, weil er ein wettbewerbsverzerrender Eingriff in den Markt mit privaten Anbietern wäre.

Eine Riester-Reform und eine bessere bAV werden die deutsche Altersvorsorge allein nicht sanieren. Dafür sind auch Anpassungen im gesetzlichen Rentensystem notwendig. Das Umlagesystem verschlingt immer mehr Steuerzuschüsse. Deren Anteil an der Finanzierung der gesetzlichen Rente bezifferte das Bundesfinanzministerium im Jahr 2002 mit 73 Milliarden Euro, 2025 sollen es schon 122 Milliarden Euro sein.

Dannheisig: Was können wir von den Altersvorsorgesystemen anderer Länder lernen? Wo sehen sie Vorbilder für ein fondsbasiertes Modell, das die Altersversorgung stabilisiert?

Richter: Schweden hat in der ersten Säule kapitalgedeckte Elemente eingeführt. Damit ließe sich auch in Deutschland das Rentensystem mittelfristig unabhängiger von Steuerzuschüssen machen. Die FDP hat mit der Aktienrente in Anlehnung an das schwedische Modell einen sinnvollen Vorschlag gemacht, wie eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente hierzulande aussehen könnte. Wann der geplante Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente starten soll, ist unsicher, der Finanzierungsweg unklar. Die geplante Anschubfinanzierung von zehn Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Weitere Schritte lässt die Bundesregierung bisher offen. Sie sollte den Mut aufbringen, den Plan nach schwedischem Vorbild in der gesetzlichen Rente weiterzuverfolgen. Dabei kann der kapitalgedeckte Anteil der gesetzlichen Rente über regelmäßige Beitragszahlungen in einen staatlich organisierten Fonds fließen oder auch in Fonds privater Anbieter.

Dannheisig: Für welche konkrete Maßnahme in der betrieblichen Altersversorgung erhoffen Sie sich jetzt mehr Raum in der politischen Diskussion?

Richter: Arbeitgeber sollten die Garantien auch einseitig lockern dürfen. Die bislang mit dem Sozialpartnermodell erforderliche Einigung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften erweist sich als Hemmschuh bei der Umsetzung.

Dannheisig: Wie gewinnen wir an Geschwindigkeit bei der Verbesserung der Situation in der Altersversorgung?

Richter: Rentenpolitische Entscheidungen wirken in der Regel erst nach Jahren, und auch die Entwicklung in der betrieblichen Altersversorgung gestaltet sich zäh. Deshalb ist es wichtig, die Weichen für Reformen jetzt zu stellen. Erste Verbesserungen ließen sich schnell mit flexibleren Garantien bei der Riester-Rente erzielen. Sie waren bereits in der letzten Legislatur in der Diskussion, scheiterten aber am parteipolitischen Taktieren im Wahlkampf. Eine Lockerung der Garantie auf zum Beispiel 70 Prozent der eingezahlten Beträge würde nicht nur die Rendite der 16 Millionen Riester-Verträge verbessern, sondern auch das Neugeschäft beleben. Für den Gesetzgeber wäre das nicht mehr als ein Federstrich.

Dannheisig: Neben dem deutschen Thema Altersvorsorge beschäftigt uns als internationales Thema die nachhaltige Transformation. Welche Rolle hat die Investmentwirtschaft in Deutschland dabei?

Richter: Die Fondswirtschaft finanziert seit Jahren nachhaltige Unternehmen und Produktionsverfahren. Wir haben hier bereits sehr viel Expertise. Allerdings steckt die Branche in einem Dilemma. Wir können und wollen nicht allgemeingültig entscheiden, was nachhaltig ist. Das müssen andere tun. Aber wer ist das? Die EU-Gesetzgeber haben bisher noch keine eindeutige Linie gefunden. Die Offenlegungsverordnung tut nur das, was ihr Name verspricht: sie legt offen, regelt also lediglich Transparenzpflichten. Die Taxonomie steht noch am Anfang. Außerdem ist sie schon jetzt in Teilen umstritten, wie der bislang unentschiedene Streit zeigt, ob Atomenergie und Erdgas in die Taxonomie aufgenommen werden sollen. Bei der geplanten sozialen Taxonomie dürften die Debatten noch schwieriger werden. Bezeichnend für das Dilemma sind die jüngsten Äußerungen der BaFin, die ihre Pläne für eine Richtlinie für nachhaltige Investmentfonds mit Verweis auf das energie- und geopolitische Umfeld vorerst auf Eis gelegt hat. Dabei hat sie betont, sie habe nicht zu entscheiden, was nachhaltig ist.

Derzeit herrscht ein Deutungsvakuum, in das am lautstärksten die NGOs stoßen. Deren Kampagnen beeinflussen die öffentliche Meinung und damit auch das Reputationsrisiko für die Anbieter nachhaltiger Produkte. Der Vorwurf der „Grünfärberei“ beim nachhaltigen Investieren ist dabei schnell bei der Hand. Aber was bedeutet „Grünfärberei“, wenn niemand genau weiß, was nachhaltig ist? Im Moment können sich Fondsanbieter nur an ihren eigenen Zusagen in Sachen Nachhaltigkeit messen lassen, nicht an allgemeingültigen Standards. Im Übrigen gilt: Wer die Messlatte für nachhaltige Anlagen zu hoch legt, wird nur die grüne Nische finanzieren und nicht den Umbau der gesamten Wirtschaft.

Dannheisig: Sie haben die Kritik am Umgang der Marktteilnehmer mit dem Thema Nachhaltigkeit angesprochen. Was ist jetzt im Vertrieb nachhaltiger Fonds zu beachten?

Richter: Zunächst die Erkenntnis, dass wir es beim Thema Nachhaltigkeit nicht mit einem Produkttrend zu tun haben, wie etwa bei den BRIC-Fonds Mitte der 2000er Jahre. Das Thema ist regulatorisch getrieben und wird die finanzpolitische Agenda auf lange Zeit mitbestimmen. Die größte praktische Bedeutung für den Fondsvertrieb wird die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen beim Anleger ab 2. August dieses Jahres haben. Sie geht auf Ergänzungen zur MiFID und der IDD zurück. Auch diese Vorgaben regeln zwar nicht abschließend, was nachhaltig ist, sie geben aber zumindest Orientierung, welche Finanzprodukte an Anleger mit Nachhaltigkeitspräferenzen empfohlen werden dürfen.

Dannheisig: Was ändert sich mit den neuen Vorgaben für die Fondsanbieter und Berater?

Richter: Der 2. August 2022 bedeutet für Fondsanbieter und Vertrieb einen deutlichen Einschnitt. Die Fondsgesellschaften werden ihr Produktuniversum an die neuen Vorgaben anpassen müssen. Derzeit managt die Branche in Publikumsfonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen gemäß Artikel 8 und 9 der Offenlegungsverordnung insgesamt 563 Milliarden Euro. Das sind 40 Prozent des Gesamtvermögens der Publikumsfonds.

Die Einstufung als Artikel 8 sagt aber zunächst nur aus, dass dieser Fonds bestimmte Informationen zu seiner Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlichen muss. Das wird nach den neuen Regeln allein nicht ausreichen, um ihn Kunden mit Interesse an nachhaltigen Finanzprodukten anbieten zu dürfen. Dafür müssen die Fonds zusätzliche Merkmale aufweisen. Viele Fonds, die derzeit als Artikel-8-Produkt eingestuft sind, werden deshalb ihre Strategien nachschärfen müssen. Beispielsweise durch Zusagen, nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeit, wie etwa den CO2-Ausstoß, abzumildern oder einen Mindestanteil nachhaltiger Investitionen zu erreichen. Diese Informationen werden in der Regel erst ab Januar 2023 in den Verkaufsprospekten und Jahresberichten der Fonds stehen, weil sie Bestandteil der standardisierten ESG-Anhänge sind, die nach der Offenlegungsverordnung erst zu diesem Datum bereitgestellt werden. In der Zwischenzeit müssen die Fondsgesellschaften ihre Informationen zu den Nachhaltigkeitsmerkmalen für den Vertrieb teils auf intern berechnete Werte stützen. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Berater.

Um Haftungsrisiken zu vermeiden, sollten sie die Kunden darauf hinweisen, dass das Produkt zwar in seiner Strategie bereits entsprechende Produktmerkmale umsetzt, dass diese Merkmale aber erst später vertraglich zugesagt werden können. Eine klare Kommunikation zwischen Fondsanbietern, Vertrieb und Kunde wird in dieser Übergangszeit entscheidend sein. Zudem wird es anfangs sicherlich noch nicht genügend Produkte geben, um alle denkbaren Präferenzen der Kunden zu berücksichtigen. Zum Beispiel sind Fonds mit hohen Taxonomie-Quoten derzeit nicht realistisch, weil es erst für zwei von sechs Umweltzielen der Taxonomie nachprüfbare technische Kriterien gibt. Und selbst für diese gibt es noch keine verlässlichen Daten. Für Zusagen zum Mindestanteil nachhaltiger Investitionen bestehen ähnliche Probleme. Die Berater werden also die Wünsche der Kunden zur Nachhaltigkeit ihrer Anlagen mit der Marktrealität vereinbaren müssen. Dabei wird Fingerspitzengefühl gefragt sein.

Thomas Richter in blauem Sakko und weißem Hemd
Thomas Richter wurde am 08. Juni 1966 in Ansbach geboren. Er studierte Jura und Französisch in Frankreich und Augsburg, war in einer Anwaltskanzlei in Toronto tätig und ist geprüfter Börsenhändler und Investment Analyst DVFA/CEFA.
Von 1995 bis 1998 arbeitete er bei der Deutsche Börse AG und anschließend bis zum Jahre 2007 in leitenden Positionen bei der DWS. Von 2007 bis 2010 war er Mitglied der Geschäftsführung der DWS und Mitglied des Vorstands des BVI. Seit 2010 ist er beim BVI.
Thomas Richter ist Mitglied des Verwaltungsrats der BaFin und Mitglied im Beirat Marktbeobachtung Finanzen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Zudem ist er im Vorstand des Weltfondsverbands IIFA.

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