Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien

FLorian Toncar in blauem Anzug und mit roter Krawatte

Die Herausforderungen aus der Transformation für eine bessere Zukunft von Umwelt und Gemeinwohl sind groß. Der Krieg in der Urkaine schafft nochmals neuen Handlungsbedarf für alle politischen Ressorts. In einem Interview mit unserem Herausgeber Hans-Jürgen Dannheisig hat sich Dr. Florian Toncar – MdB und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen – Fragen zu diesen Themen gestellt.

Dannheisig: Der Krieg in der Ukraine, die Auswirkungen des Klimawandels und deren Folgen für Wirtschaft und Preisentwicklung stellen uns vor große Herausforderungen. Schaffen wir das?

Toncar: Klar ist: Der Angriff Russlands auf die Ukraine trifft uns auch ökonomisch; er belastet die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Unmittelbar macht sich dies vor allem bei den Energiepreisen und dem damit zusammenhängenden Anstieg der Verbraucherpreise bemerkbar. Die bereits erhöhte Inflationsrate ist zuletzt nochmal deutlich gestiegen, was den Ausgabenspielraum der privaten Haushalte zusätzlich dämpft. Die Energiepreisinflation belastet insbesondere energieintensive Unternehmen und beschleunigt den für die Energiewende notwendigen und geplanten Ausstieg aus fossilen Energien; sie stellt uns dadurch vor unerwartete Herausforderungen, die wir aber meistern werden.

Kurzfristig gilt: Wir entlasten Haushalte und Unternehmen schnell und treffsicher. Es ist aber auch festzuhalten: Steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise sind Ausdruck zunehmender Knappheiten, die die Finanzpolitik nicht ungeschehen machen kann. Vielmehr gilt es, soziale Härten zu vermeiden und die produktive Substanz unserer Volkswirtschaft durch einen passgenauen Schutzschild für vom Krieg betroffene Unternehmen zu schützen.

Mit Blick auf den Klimawandel ist der Ausstieg aus fossilen Energien ohnehin zeitnah notwendig. Bis 2045 wollen wir klimaneutral wirtschaften. Daher reduzieren wir bereits die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und treiben mit (grünem) Wasserstoff, synthetischen Kraftstoffen und anderen CO2-neutralen Technologien die Dekarbonisierung voran. Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien. Sie ermöglichen die Erreichung der Klimaziele und zugleich unsere geopolitische Souveränität.

Darüber hinaus brauchen wir für die Transformation unserer Volkswirtschaft neue Geschäftsmodelle, neue Ideen, neue Lieferketten und neue Handelsbeziehungen. Denn wir müssen produktiver und zugleich resilienter werden. Wir müssen die Produktivitätsgewinne durch den Außenhandel realisieren und gleichzeitig Klumpenrisiken und sicherheitspolitisch nachteilige Abhängigkeiten schnellstmöglich abbauen. Für die nunmehr beschleunigte Transformation müssen wir auch Bürokratie auf das notwendige Minimum reduzieren, die Digitalisierung vorantreiben sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Im Koalitionsvertrag wurden umfangreiche Maßnahmen vereinbart, die zu einer Halbierung der Planungs-, Genehmigungs-, und Verwaltungszeiten führen sollen.

Dannheisig: Deutschland hat viele Ressourcen. Eine davon sind starke Institutionen mit ihren regulierten Vermögensmassen und ein starker Mittelstand. Wie kann von professionellen Investoren ein wichtiger Beitrag für die Finanzierung der aktuell stark gewachsenen Herausforderungen unserer Volkswirtschaft geleistet werden?

Toncar: Da möchte ich einen Schritt früher einsteigen und den Finanzierungsbeitrag würdigen, den die Bürgerinnen und Bürger hier leisten. Das Geldvermögen der privaten Haushalte ist im vergangenen Jahr um 400 Milliarden Euro gestiegen und hat Ende 2021 den Rekordwert von 7,6 Billionen Euro erreicht. Drei Viertel des Vermögenszuwachses entfallen dabei auf Aktien, Investmentfonds, Versicherungen und Alterssicherungssysteme. Sparerinnen und Sparer geben institutionellen Anlegern erhebliche Mittel an die Hand. Sie beteiligen sich auf diese Weise mittelbar an der Finanzierung der Volkswirtschaft und am Wirtschaftswachstum. Hier kann man weiteres Potenzial heben. Die Deutschen sind Sparweltmeister, aber mehr Ersparnisse als erforderlich werden bar oder als Einlage gehalten. Das ist nicht effektiv – davon haben die Sparerinnen und Sparer nichts und die Volkswirtschaft auch nicht.

Unsere Volkswirtschaft muss einige Herausforderungen stemmen. Dazu zählt insbesondere die Überleitung auf eine nachhaltige, im besten Fall klimaneutrale Wirtschaft. Aber auch die Digitalisierung, eine funktions- und leistungsfähige Infrastruktur, die Alterssicherung und die äußere Sicherheit sind hier zu nennen. Die Finanzindustrie wird den Anpassungsprozess der Realwirtschaft unterstützen. Dazu gehört nicht nur die Finanzierung von Projekten, sondern auch Beratung und Wissenstransfer, gerade im Zusammenhang mit der Planung anspruchsvoller Projekte wie dem Bau von Infrastruktur und Energieanlagen. Finanzunternehmen müssen hier über das erforderliche Know-how verfügen und gegebenenfalls aufbauen. Sie müssen in der Lage sein, anhand ihres Risiko-managements beurteilen können, welche Unternehmungen langfristig wettbewerbsfähig bleiben können und welche planungstechnischen Herausforderungen beziehungsweise Unwägbarkeiten bestehen. Daneben eröffnen neue Geschäftsmodelle, Technologien und gesellschaftliche Entwicklungen viele interessante Perspektiven für institutionelle Anleger. Diese Chancen müssen Finanzunternehmen erkennen und nutzen.

Finanzunternehmen müssen dabei keineswegs Alleskönner sein, sondern können sich auf Investments konzentrieren, die am besten zu ihnen passen. Beispielsweise bieten sich Versicherungsunternehmen besonders für langfristige Finanzierungen an. Mit ihrem langfristigen Anlagehorizont sind Versicherer naheliegende Partner für viele nachhaltige Infrastrukturvorhaben, bei denen es finanzierungstechnisch häufig um Laufzeiten von 20 oder 30 Jahren geht. Versicherer gehören übrigens auch zu den größten Gläubigern grüner Anleihen in der EU.

Selbstverständlich müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen. Aus gutem Grund haben wir uns im Koalitionsvertrag dazu bekannt, dass wir uns für einen leistungsstarken europäischen Banken- und Kapitalmarkt einsetzen. Zur Vertiefung der Kapitalmarktunion soll außerdem der Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen zum Kapitalmarkt erleichtert werden. Wir halten aber daran fest, dass für Finanzierer wie Banken und Versicherungen evidenzbasierte und risikoorientierte Kapitalanforderungen gelten müssen. Das ist für das Vertrauen in den Finanzmarkt unabdingbar.

Dannheisig: Kann Sustainable Finance als Basis des Beitrages der Finanzwirtschaft für Gesellschaft und Umwelt entwickelt werden?

Toncar: Die Finanzindustrie leistet mit ihren Dienstleistungen einen wesentlichen Beitrag für die Gesellschaft und Realwirtschaft. Denken sie beispielsweise an den Zahlungsverkehr, ohne den wir kaum so leben und wirtschaften könnten wie wir es tun.

Mir geht es bei Sustainable Finance darum, dass Nachhaltigkeitsaspekte vermehrt bei Finanzierungsentscheidungen berücksichtigt werden. Also zum einen darum, dass Risiken – z.B. aus dem Klimawandel – identifiziert und gemanagt werden. Anderseits geht es darum, die immensen Chancen aus der Transformation zu ergreifen, Innovationen zu finanzieren und auch in der Zukunft Marktanteile zu erhalten. Die Finanzindustrie hat also ein Eigeninteresse, Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen und die Realwirtschaft und Gesellschaft bei der Transformation mit ihren Dienstleistungen zu begleiten. Genau daraus kann ein Beitrag für die Gesellschaft und die Umwelt entstehen.

Dannheisig: Welche Sinnhaftigkeit sehen Sie – auch in Deutschland – in der Einrichtung von Staatsfonds als Ergänzung der Finanzierungsstruktur langfristiger Transformation und zur Zukunftssicherung?

Toncar: Deutschland steht in den 2020er Jahren vor tiefgreifenden Transformationsprozessen im globalen Wettbewerb – von der Dekarbonisierung über die digitale Transformation bis hin zum demografischen Wandel. Um diese Transformation im Rahmen unserer Fiskalregeln haushalts- und finanzpolitisch unterstützen zu können, benötigen wir zusätzliche Maßnahmen. Für große transformative Aufgaben sollen laut Koalitionsvertrag auch finanzielle Transaktionen genutzt werden können, die das Finanzvermögen unverändert lassen.

Der demografische Wandel wird unsere Gesellschaft mittel- bis langfristig tiefgreifend verändern. Mittel aus dem Bundeshaushalt decken seit einigen Jahren gut 30 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung. In den kommenden Jahren gehen die sogenannten Babyboomer in Rente, was den Finanzierungsdruck auf das umlagefinanzierte System der gesetzlichen Rente erhöht. Ein wichtiger Baustein zur Begrenzung dieses Finanzierungsdrucks wird der Einstieg in die Aktienrente, also eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente sein. Dadurch soll die gesetzliche Rente dauerhaft unabhängiger von der demographischen Entwicklung werden. Dazu laufen sehr gute und intensive Gespräche innerhalb der Bundesregierung.

Dannheisig: Wir reden viel von Generationengerechtigkeit. Jetzt werden wir wohl einen großen Teil der Finanzierung der Transformation über die nächsten Generationen verteilen müssen…?

Toncar: Wir stehen derzeit vor einer Reihe von Herausforderungen wie der Dekarbonisierung, der digitalen Transformation oder dem demografischen Wandel. Sie erfordern erhebliche Investitionen, die wir jetzt angehen, um die Zukunftschancen der jungen Generationen zu verbessern.

Die notwendigen Ausgaben für die Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie bedeuten nicht nur finanzielle Lasten für die Zukunft. Vielmehr stärken sie das Produktionspotential unserer Volkswirtschaft und sind somit eine Investition in die Zukunft. Die in Reaktion auf den Ukraine-Krieg zusätzlich bereitgestellten Mittel für Verteidigung sichern zudem das Leben in Freiheit auch für zukünftige Generationen. Insofern muss sorgfältig abgewogen werden, was wir uns derzeit leisten und wie wir die Lasten verteilen.  Mit der Schuldenregel hat der Verfassungsgesetzgeber die notwendigen Leitplanken für eine nachhaltige und generationengerechte Haushalts- und Finanzpolitik geschaffen. Sie stellt die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte sicher und sendet das glaubwürdige Signal an die Kapitalmärkte, dass Deutschland seine Staatsschulden im Griff hat.

Dannheisig: Welchen Wunsch wollen Sie an die Entscheidungsträger deutscher professioneller Vermögensmassen äußern?

Toncar: Nutzen Sie die zahlreichen Chancen, die die verschiedenen Transformationsprozesse bieten, und gestalten Sie aktiv den Ausbau und die Modernisierung unserer Volkswirtschaft mit!

FLorian Toncar in blauem Anzug und mit roter Krawatte
Dr. Florian Toncar, geboren am 18. Oktober 1979 in Hamburg, ist Rechtsanwalt und Mitglied im Bundesvorstand der Freien Demokratischen Partei sowie des Deutschen Bundestages. Seit Dezember 2021 ist er Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen. Er ist für die Themen Haushalt, Finanzmarkt und Europa zuständig.

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