„Der Finanzmarkt kann ein enormer Hebel bei der Transformation sein“

Silke Stremlau in rotem Blazer

In der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung den ersten Sustainable Finance Beirat ins Leben gerufen. Dieser Beirat wird der Bundesregierung auch in der 20. Legislaturperiode beratend zur Seite stehen und sie entlang des Leitbildes der Finanzstabilität und der Nachhaltigkeit dabei unterstützen, Deutschland zu einem führenden Sustainable-Finance-Standort zu entwickeln. Für EXXECNEWS INSTITUTIONAL sprach Herausgeber Hans-Jürgen Dannheisig mit Silke Stremlau, der Vorsitzende des Beirates.

Dannheisig: Zunächst nochmals herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Rolle als Vorsitzende des Sustainable-Finance-Beirates der Bundesregierung. Der Beirat der 20. Legislaturperiode hat am 10. Juni 2022 mit der konstituierenden Sitzung seine Arbeit aufgenommen.
Was hat Sie motiviert, sich dieser weiteren Aufgabe zu stellen?


Silke Stremlau: Mich hat zweierlei gereizt. Zum einen die Moderation dieses sehr diversen Multi-Stakeholder-Gremiums und der Versuch, dass wir möglichst mit einer konstruktiven Stimme für Sustainable Finance und die Chancen für die Transformation werben. Das wird sicherlich herausfordernd, das war es schon im ersten Beirat, weil unterschiedliche Blickwinkel, Motivationen und Erfahrungen zusammenkommen. Zum anderen möchte ich in meinem Leben und durch mein berufliches Wirken etwas verändern, ich möchte diese Gesellschaft ein kleines Stückchen nachhaltiger machen. Und ich glaube, dass der Sustainable-Finance-Beirat tief in die verschiedenen Bereiche unserer Gesellschaft wirken und tatsächlich Politik und Ministerien beraten kann.


Dannheisig: Sie sind bei den Hannoverschen Kassen im Vorstand und haben dort im regulierten Umfeld ein Leuchtturmprojekt für die Umsetzung konsequent nachhaltiger Kapitalanlage und Unternehmensführung auf den Weg gebracht.
Wieviel der dortigen Tätigkeit, Erfahrung, Erfolge und Herausforderungen nehmen Sie in die neue Gremientätigkeit mit?


Stremlau: Ich glaube, eine ganze Menge, weil ich eben aus der Praxis komme und weiß, dass nachhaltiges Investieren und zugleich eine risikoarme Investitionspolitik und herausfordernde Regulierung funktionieren können. Und alle Argumente, das ist zu teuer, das braucht zu viele Ressourcen, damit auch relativ schnell aushebeln kann, da ich finde, es gehört zu unserer Verantwortung als Investorinnen und Unternehmen, die planetaren Grenzen bei unserem Wirken, sei es in Geschäftsmodellen oder in der Kapitalanlage, zu berücksichtigen. Viele der Politiker:innen an den Stellschrauben der Macht haben wenig Erfahrung mit Aktieninvestments. Hier müssen wir übersetzen und deutlich machen, welche enormen Hebel der Finanzmarkt bei der Transformation haben kann, wenn er denn die richtigen Leitplanken bekommt.

Dannheisig: Der Beirat startet in seine Legislaturperiode in einem sehr schwierigen Umfeld. Nicht nur der Klimawandel, sondern auch ein vollständig neues Gefüge von geopolitischen Rahmenbedingungen erfordert viel Arbeit.
Was sind die Ansprüche an den Beirat, die Ihre Auftraggeber an den Beirat in dieser Situation haben und was ist die realistische Erwartung, die die Öffentlichkeit haben kann?


Stremlau: Ich glaube, die Bundesregierung hat erkannt, wie enorm der Finanzierungsbedarf für die Transformation ist. Wir brauchen einen Turbo im Ausbau der Erneuerbaren, einen Turbo im anderen Umgang mit unseren Böden und der Artenvielfalt, einen Turbo in der nachhaltigen Mobilität und, und, und. Gleichzeitig ist der Staat gerade mit dem Ukraine-Krieg, den steigenden Energiepreisen und den weiteren Ausgaben zur Abmilderung der Inflation zusätzlich enorm finanziell belastet. Er braucht die privaten Gelder und er hat ein zutiefst originäres Interesse daran, dass der Kapitalmarkt nicht weiter in nicht-zukunftsfähige Branchen investiert, die unsere ökologischen Ressourcen zerstören und damit unbezahlbare Kosten für die Zukunft produzieren. Dieses Narrativ muss sich auch noch in der Politik setzen, das wird eine unserer Hauptaufgaben sein. Neben der Aufgabe der ad-hoc-Beratung der Bundesregierung bei aktuellen Regulierungsvorhaben aus Brüssel, die im Beirat einfach gesellschaftlich viel breiter stattfinden kann als durch die etablierten Lobbykanäle. Und diese Erwartung darf auch die Öffentlichkeit haben.

Dannheisig: In der Vergangenheit wurde die Arbeit als manchmal zu langsam und mit zu wenig Durchschlagskraft beurteilt. Wird bezüglich der Geschwindigkeit und der Bedeutung zu viel erwartet?


Stremlau: Vermutlich ja. Der letzte Beirat ist ja erst zur Mitte der Legislaturperiode eingesetzt worden und brauchte dann zu Beginn Zeit für Satzungsentwicklung und Organisationsfragen. Somit war der – wie ich finde – hervorragende Abschlussbericht mit seinen 31 Empfehlungen erst im Februar letzten Jahres fertig und dann ging es schon quasi über in den Wahlkampf. Außerdem muss man sehen, wir sind ein ehrenamtliches Gremium, wir haben beratenden Charakter, wir haben keine Durchgriffsrechte zum Gesetzgeber. Vieles an Gesprächen und an fachlichem Austausch hat auch hinter den Kulissen stattgefunden und ist vielleicht ähnlich wertvoll, weil es sofort in Regierungshandeln umgesetzt werden kann. Es wird aber nicht an die große Glocke gehängt.

Dannheisig: Womit startet die reguläre Arbeit im Gremium?


Stremlau: Wir haben letzte Woche Donnerstag vier Stunden digital getagt und eine erste Themensammlung durchgeführt: Welche Themen und Ziele des alten Beirats müssen unbedingt weiter bearbeitet werden und welche Themen sind – auch aufgrund der aktuellen Weltenlage – neu hinzugekommen?

Dannheisig: Was haben Sie sich im ersten Jahr als Etappenziel gesteckt?


Stremlau: Als Gremium einander gut kennen lernen, gegenseitiges Vertrauen aufbauen und ein Arbeitsprogramm für die nächsten drei Jahre entwickeln. Außerdem mindestens drei konkrete Vorhaben, wie die Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte, weiter konkretisieren, so dass sie implementiert werden können sowie die Bundesregierung bei ad-hoc-Themen gut und solide beraten.

Dannheisig: Wie werden Sie Sichtbarkeit und Transparenz des Gremiums gestalten?


Stremlau: Alle Beiräte sind aufgefordert, die Themen und Anliegen des Beirats in ihren Netzwerken zu streuen und dafür zu werben. Das werden nicht nur die Vorsitzenden machen. Zudem wollen wir aktiv Gespräche mit der Politik und bestimmten Verbänden führen, aber auch auf internationaler Ebene stärker die deutsche Sustainable-Finance-Position vertreten. Das liegt besonders meinem Co-Vorsitzenden Christian Heller am Herzen.

Dannheisig: Was sehen Sie für die nächsten Jahre als größte Herausforderung dieser Arbeit?


Stremlau: Bei den Herausforderungen der Erderhitzung, der ökologischen Krise, der sicherheitspolitischen Spannungen und der sozialen Herausforderungen keine Schnappatmung zu bekommen, sondern sich immer wieder auf die Frage zu konzentrieren: Wo ist der größte Hebel im Finanzmarkt, die Kräfte für die Transformation richtig und effizient einzusetzen?

Dannheisig: Das Vertrauen in wichtige Institutionen wird manchmal beeinträchtigt. So geschehen mit den europäischen Entscheidungen zur Taxonomie. Wenn Sie mögen, beantworten Sie die folgende Frage einmal persönlich und einmal aus der Rolle als Beiratsvorsitzende: Welche Konsequenzen hat diese Entscheidung für Sustainable Finance in Deutschland?


Stremlau: Da kann ich mit einer Stimme sprechen: Ich finde die Aufnahme von Atom und Gas zutiefst falsch in einen Gold-Standard für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten, weil beide Technologien eben nicht die planetaren Grenzen achten. Die Entscheidung war politisch begründet und nicht wissenschaftsbasiert. Ich glaube aber auch, dass sich in deutschen Nachhaltigkeitsfonds und Portfolios nicht viel ändern wird. Atom wird nahezu draußen bleiben, und bei Gas wird man sicherlich in einigen Fällen die Taxonomie-Kriterien anwenden. Es bleibt abzuwarten, ob die Taxonomie wirklich zum Game Changer wird, wie viele gehofft haben.

Silke Stremlau in rotem Blazer
Silke Stremlau ist Vorstand der Hannoversche Pensionskasse VVaG, Hannoversche Alterskasse VVaG, Hannoversche Solidarwerkstatt e. V., Hannoversche Beihilfekasse e. V., Neue Hannoversche Unterstützungskasse e. V.
Im Unternehmensverbund der Hannoverschen Kassen werden Versorgungskonzepte der sozialen Absicherung entwickelt und realisiert. Diese sind darauf ausgerichtet, mit Einrichtungen und den dort tätigen Menschen Lösungen zu gestalten, die unterschiedlichen Bedürfnissen und biografischen Situationen gerecht werden.
www.hannoversche-kassen.de

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