Die neue Bundesregierung hatte keine Zeit 100 Tage lang Überlegungen anzustellen, um ihren politischen Willen in praktische Politik zu wandeln. Wie noch nie ist Politik aktuell gefordert mit hoher Geschwindigkeit alle Hebel in Bewegung zu setzen, die großen Herausforderungen unserer Tage zu bewältigen. Dazu gehört auch eine wirkungsorientierte Finanzpolitik – sozusagen “ Politics with Impact „. Insbesondere das Finanzressort muss weichen stellen für die Transformation der Volkswirtschaft und für die Auswirkungen einer neuen geopolitischen Lage. Ich durfte hierzu ein spannendes Interview mit Katherina Beck, Finanzpolitische Sprecherin bei Bündnis90/Die Grünen führen.
Dannheisig: Sie haben – so liest man – aus Ungeduld wegen der langsamen Entwicklung nachhaltiger Themen Verantwortung übernommen und sich eingeschaltet. Zunächst als Beraterin und schnell auch in der aktiven Politik. Sind Sie heute mit der Geschwindigkeit von Transformation zu-frieden?
Katharina Beck: Ich möchte Politik positiv gestalten. Zu oft habe ich erlebt, wie der Wille zu konsequenter Nachhaltigkeit – zum Beispiel von DAX Vorständ*innen – in der Umsetzung an den falschen Rahmenbedingungen scheitert, zumindest teilweise. Das möchte ich ändern und deswegen bin ich mit 14 Jahren Berufs-praxis nun in die Politik gewechselt.
Zur Transformation: Auch wenn der brutale Angriffskrieg und die Inflation aktuell große Sorge bereiten, ist eine gute Nachricht, dass die Transformation jetzt eindeutig Fahrt aufnimmt. Jahrelang gab es Stillstand – beziehungsweise sogar ein Verhinderungsregime gegen erneuerbare Energien. Planwirtschaftliche Ausbaudeckel oder extrem angestiegene Bürokratieanforderungen sind Bei-spiele dafür, mit negativen Konsequenzen auf zig Tausende Arbeitsplätze und auch auf die Energiekosten in Deutschland. Denn erneuerbare Energien sind die kostengünstigsten Energieformen. Ihr dynamischer Ausbau sollte schon allein deshalb in unser aller Interesse sein. Das treibt die neue Regierung jetzt endlich beherzt voran. Mit dem Osterpaket wollen wir den Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch bis 2030 auf 80 Prozent nahezu zu verdoppeln. Dafür verdreifachen wir die Geschwindigkeit beim Ausbau.
Wie angemessen der Schritt ist, erneuerbaren Energien zum öffentlichen Interesse und Teil der öffentlichen Sicherheit zu machen, zeigt nicht nur die immer extremer werdende Klimakrise, sondern auch die Energieabhängigkeit Deutschlands von wenigen Lieferanten bei fossilen Energien. Hier diversifizieren wir daher seit Monaten aus voller Kraft, auch wenn uns Reisen wie die nach Katar nicht leicht fallen. Beim Gas hatten wir von der Vorgängerregierung ein Klumpenrisiko von 55 Prozent Abhängigkeit von Putins Russland geerbt, das wir in wenigen Monaten zumindest auf 35 Prozent reduzieren konnten.
Manches Notwendige ist nicht einfach: Dass wir für die Versorgungssicherheit kurzfristig wieder mehr Kohle verstromen und verstärkt fossiles LNG-Gas nutzen müssen, ist bitter. Gleichzeitig wer-den wir in Deutschland auch zukünftig Gas brauchen. Daher ist es wichtig, dass die neuen Gas-kraftwerke nun „Wasserstoff-ready“ gebaut werden. Betriebsgenehmigungen für Energieinfra-struktur sollen so erteilt werden, dass der Betrieb ab 2045 ausschließlich klimaneutral fortgesetzt werden kann.
Wichtig ist auch die Transformation in anderen CO2-intensiven Bereichen wie Industrie, Gebäude, Landwirtschaft und Verkehr. Mit „Carbon Contracts for Difference“ (CCfD) werden wir emissions- und energieintensive Grundstoffindustrien wie Stahl, Chemie oder Zement für den Einsatz neuer, klimaneutraler Technologien unterstützen; Förderprogramme für effiziente Gebäude richten wir neu und effektiver aus (siehe Arbeitsplan Energieeffizienz). Wir als Ampel möchten Deutschland zum „führenden Standort nachhaltiger Finanzierung“ machen – damit diese Transformation schnell genug vorangeht.
Dannheisig: Social Banking ist eines Ihrer Herzensthemen. Sind Banken in den letzten Jahren ihrer Verantwortung besser gerecht geworden? Was fehlt in der deutschen Finanzwelt?
Beck: Mir hat in der deutschen Finanzwirtschaft lange das Verständnis gefehlt, dass Nachhaltigkeit kein Thema für extra Hochglanzbroschüren ist, sondern den Kern der Geschäftsmodelle ihrer Kunden und Investitionsprojekte betrifft. Die Top-3 der Risiken für die Wirtschaft, die das Weltwirtschafts-forum (WEF) jährlich herausgibt, waren in 2022: Klimawandel, extreme Wetterereignisse, Verlust an Biodiversität. Das sind Risiken aus Sicht der Weltwirtschaft, nicht die ein Naturschutzverband oder eine grüne Partei benennt. Labile Lieferketten, explodierende (Energie-)Preise, wachsende soziale Spaltung sind aktuell sichtbare Ausprägungen dieser Risiken – weiter und teils stark verstärkt durch die Pandemie und den Einmarsch Russlands in die Ukraine.
Jetzt hat das Thema Nachhaltigkeit – auch durch die EU-Regulierung – in den letzten Jahren unter dem Kürzel „ESG“ für „environmental, social, governance“ den Mainstream erreicht. Sowohl im Finanzsektor als auch in den CFO Abteilungen der Realwirtschaft. Wichtig ist dabei, Nachhaltigkeit konsequent im Kerngeschäft der Banken – dem Kredit- und Investmentgeschäft – zu verankern. Hier ist nach wie vor oft noch Luft nach oben. Beispielsweise wird nach wie vor stark im fossilen Sektor finanziert – auch von deutschen Banken. Es ist notwendig, diese Finanzierungen schnellst-möglich zu beenden – auch aufgrund der Risiken, die mit solchen potenziellen „stranded assets“ verbunden sind. Die konsequente Integration von Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken in die Risikomanagementsysteme und Aufsicht sehe ich als einen der wichtigsten Hebel für die Transformation der Finanzwirtschaft an.
Dannheisig: Vor ein paar Tagen sind die neuen Mitglieder des Sustainable Finance Beirates benannt worden. Das Gremium hat umgehend -unter der Leitung von Silke Stremlau- mit der Arbeit begonnen. Welche Impulse braucht die Politik aus diesem Gremium? Müsste deren Arbeit nicht „lauter“ sein?
Beck: Der neue Sustainable Finance Beirat bringt 34 inspirierende Persönlichkeiten aus Finanz- und Real-wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die ihre Leidenschaft und ihre ausgewiesene Expertise für das Thema Nachhaltigkeit verbindet, zusammen. Ihre Aufgabe ist es nicht, zuvorderst laut zu sein, sondern wissenschaftsbasierte und praxisnahe Ideen zu entwickeln, wie Deutschland zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung werden kann.
Wichtig ist, dass der Beirat und seine Ideen bei den relevanten Entscheidungsträgerinnen auch echtes Gehör findet. Dazu zählen neben der Top-Ebene aus der Regierung und Expertinnen aus den Ministerien auch das Parlament, damit wir schnell in die Umsetzung einer erneuerten Sustainable Finance Strategie kommen können.
Dannheisig: Sustainable Finance ist ein roter Faden in vielen Branchendiskussionen. Die Finanzbranche tat sich jedoch bisher teilweise schwer, mit Ernsthaftigkeit an der Transformation zu arbeiten. Welche Herausforderungen sehen Sie?
Beck: Kurzfristigkeit ist eine Herausforderung in der Finanzbranche. Mark Carney, der ehemalige Gouverneur der Bank of England, hat in seiner berühmten Rede bereits 2015 dafür den Begriff der „Tragödie des kurzfristigen Horizonts“ geprägt. Es gilt daher, manche Mechaniken unseres Wirtschaftens nachzujustieren, wie beispielsweise unsere Messung, Bewertung und strategische Steuerung von Unternehmenserfolg.
Zentral ist auch die Verbesserung der Datenverfügbarkeit und Vergleichbarkeit. Mit der Einigung zur Corporate Sustainabilty Reporting Directive ist der Weg zu mehr Zukunftsfähigkeit, Einheitlichkeit und Transparenz in der EU eingeschlagen: Erstmals sollen auch zukunftsgerichtete Daten sowie eine Nachhaltigkeitsstrategie und Fortschritte bei deren Umsetzung verpflichtend Teil der Nachhaltigkeitsberichterstattung werden und – besonders wichtig – in den finanziellen Jahresbericht integriert werden.
Dannheisig: Eines unserer Schwerpunktthemen ist das Impact Investing. Die Billionen Euro institutioneller Gelder in Deutschland wirkungsorientiert einzusetzen ist das Ziel. Wirkung für Umwelt und Gesellschaft steht oft im Gegensatz zur bisherigen Systematik regulatorischer Ansätze. Wo ist Handlungsbedarf?
Beck: Die Effektivität von Nachhaltigkeit in der Finanzbranche effektiv anzureizen und vergleichbar darzustellen – in diesem Bereich gibt es meines Erachtens durchaus Nachbesserungsbedarf in der Regulatorik. Die sogenannte „Green Asset Ratio“ (GAR) in der EU-Taxonomie ist ein Beispiel. Sie Sie soll als wichtige Kennzahl zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Investments und Instituten dienen und zeigt den Anteil der Vermögenswerte der Banken auf, die gemäß der Verordnung ökologisch nachhaltig sind. Es ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern wirklich ein Beitrag zu Klimaschutz erbracht wird – es fehlt der sichtbare Bezug zum „Impact“, also wieviel CO2 denn tatsächlich eingespart oder regeneriert wird. Das würde ich mir anders wünschen.
Ein weiteres Problem am GAR ist, dass aktuell nur die Projekte von Großunternehmen anrechenbar sind und viele mittelständische Projekte außen vor bleiben. Viele Investments in Enerneuerbare Energien qualifizieren sich dadurch leider nicht für die GAR. So werden klassische Nachhaltigkeitsbanken und viele weitere Finanzierer der Transformation im Mittelstand zum Teil nur Taxonomie-Quoten im niedrigen Bereich aufweisen können, während Großbanken besser dastehen werden. Das ist irreführend und wettbewerbsverzerrend. Auch sind leider Engagement-Strategien, bei denen Impact-Investoren mit Unternehmen in einen Nachhaltigkeitsdialog treten, um sie zur Trans-formation bewegen, bisher nicht abgebildet. Damit zusammen hängt die Herausforderung, wie in der Taxonomie die Anreize zu effektiver Verbesserung („Transformation“ bzw. „Transition“) gesetzt werden können.
Ich bin derzeit im Dialog mit diversen Stakeholdern, um die Regeln und Anreize effektiver und einfacher zu machen.
Dannheisig: Kann sozial ökologische Bilanzierung über alle Unternehmensgrößen hinweg hierzu und generell helfen mehr Transparenz zu schaffen?
Beck: Die Integration von sozial-ökologischen Kennzahlen in die finanziellen Bilanzen ist eine der besten politischen Innovationen, auf die wir uns als Ampel im Koalitionsvertrag geeinigt haben. Unser Vor-haben ist es, beginnend mit der Metrik CO2 die Rechnungslegungsstandards HGB und IFRS um Nachhaltigkeitswerte zu ergänzen. So wird sich klimapositives Wirtschaften endlich finanziell lohnen. Das ist ein schon eine Weile überfälliges Update der Messung von Wohlstand und Erfolg für das 21. Jahrhundert. Das Schöne ist: Damit nutzen wir gut funktionierende Mechaniken der Markt-wirtschaft und können mit kleinen und einfachen Regeländerungen und insgesamt wenig Aufwand gleichwohl viel Wirkung erzielen.
Dannheisig: Die Taxonomie war bisher vor allem den betroffenen Institutionen ein Begriff. Wie kann die-se weiterentwickelt werden, damit mehr Kapital für unsere burning issues eingesetzt werden kann?
Beck: Aktuell geht es darum, die Aufnahme von Gas und Atom als nachhaltig in der EU-Taxonomie abzuwenden. Diese von der Kommission geplante Verwässerung der Taxonomie haben positiverweise der Industrie- und der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments bereits abgelehnt, die entscheidende Abstimmung im Plenum wird voraussichtlich am 7. Juli stattfinden. Das ist wichtig für den Anlegerinnenschutz, denn sowohl institutionelle Investorinnen als auch Kleinanlegerinnen, die nach nachhaltigen Anlagemöglichkeiten suchen, sollten ihr Geld in tatsächliche Zukunftsenergien angelegt wissen können. Perspektivisch müssen wir darüber nachdenken, wie die Taxonomie zu einem echten Transformationsinstrument weiterentwickelt werden kann, das nicht nur die grüne Nische abdeckt, sondern soziale Aspekte und Abstufungen von Nachhaltigkeit miteinschließt. Das EU-Expertinnengremium – die Platform on Sustainable Finance – hat dazu jüngst zwei Berichte vorgelegt, die als Ausgangs-basis für weitere Reformen dienen können.
Dannheisig: Was ist ihr wichtigstes politisches Ziel für 2022?
Beck: Für 2022 ist ein aktuelles Thema zu meinem größten politischen Ziel geworden: Die hohe Inflation, und vor allem die stark steigenden Energie- und auch Lebensmittelpreise in den Griff zu bekommen. Das ist neben der Furchtbarkeit des brutalen Angriffskriegs auf die Ukraine sicher das Thema, das viele Bürgerinnen und Bürger derzeit am meisten belastet. Ich möchte mich als finanzpolitische Sprecherinnen dafür einsetzen, dass wir diejenigen, die am meisten unter der Inflation leiden, gezielt entlasten.
Gleichzeitig mache ich mich dafür stark, dass wir mit Hochdruck deren Ursachen bekämpfen: Der Schlüssel sind die Energiepreise und die Struktur des Energiemarkts. Drei Aspekte gehen wir an: erstens, den konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien, um unabhängiger zu werden und mehr dieser kostengünstigsten Energieformen zur Verfügung zu haben, zweitens, die Diversifikation der Lieferanten von Gas und Öl, um unser Risikoprofil breiter zu streuen, und drittens, eine deutliche Verschärfung des Kartellrechts, damit eine fairere Preisbildung auf den Energiemärkten wieder funktionieren kann.
Dannheisig: Welche Überschrift sollte dieses Interview haben?
Beck: Optionen:
a) Ich möchte Politik positiv gestalten
b) Der Energiemarkt ist der Schlüssel gegen die Inflation

Vor ihrem Einzug in den Bundestag hat Katharina Beck als Unternehmensberaterin für Nachhaltigkeit mit DAX-Konzernen und deren Vorständ*innen und als Aufsichtsrätin in einem Bildungs-Fin-Tech gearbeitet.
Katharina Becks größtes Anliegen ist es, die Rahmenbedingungen so anzupassen, dass sich soziales Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen endlich lohnt. Bisher sind die Anreize im System dafür noch oft hinderlich – das will sie verändern.
Neben ihrem Mandat engagiert sie sich auch als Mitglied des Verwaltungsrats der KfW und im Kuratorium der Stiftung Verantwortungseigentum – für die Finanzierung der nachhaltigen Transformation und für neue Unternehmensformen.