Das Thema Biodiversität steht immer mehr im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung und gleichzeitig auch der nachhaltigen Finanzwirtschaft. Ein Überblick von Antje Biber, Head of SDG Office bei der Feri AG.
Das Momentum ist enorm
Spätestens seit des im Dezember 2022 von der UN verabschiedeten Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF), welches den Schutz von einem Drittel der Land- und Meeresgebiete sowie das Ende von umweltschädlichen Subventionen in Höhe von 500 Milliarden Dollar beinhaltet, diskutiert die Weltgemeinschaft über Maßnahmen und vor allem über die Finanzierung zur Erhaltung und Förderung von Biodiversität.
Gleichzeitig spielt die Finanzwirtschaft im Rahmen der Umsetzung der wohlbekannten EU-Taxonomie eine Hauptrolle. Das Ziel ist es, Kapital in Aktivitäten zu lenken, die wesentlich zur Erreichung der Ziele des Europäischen Green Deals beitragen, wie Klimaneutralität und Resilienz, Nullverschmutzung, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft und die nachhaltige Nutzung von Wasser- und Meeresressourcen sowie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme.
Aktuell werden die Definitionen und Berichtsvorgaben zum Thema Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen abgestimmt, daher verstärkt sich das Interesse sowohl der Industrie als auch der Großinvestoren an Lösungen und Bewertungsstandards, die eine Förderung und Messbarkeit der Biodiversität gewährleisten können.
Ein weiterer Meilenstein in der politischen Landkarte ist das gerade vom EU-Parlament verabschiedete Gesetz zu Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, 12. Juli 2023). Dieses Gesetz verpflichtet alle EU-Mitgliedsstaaten, zerstörte Natur wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen und so den Bestand von Bestäubern, natürlichen Ressourcen, sauberer Luft und sauberem Wasser zu sichern.
Alle oben genannten Beschlüsse und Gesetze zeigen heute schon ihren Einfluss auf die Finanzwirtschaft und sie werden sicher in der Zukunft zu richtungsweisenden Veränderungen und zur Transformation von ganzen Industrien führen.
Ökonomische Risiken und Einfluss der politischen Agenda
Die Wirtschaft und der Wohlstand der Menschen sind eng mit der Erhaltung und dem Schutz der Ökosysteme verbunden. 50 Prozent des globalen BIPs (ungefähr 42 Billionen USD) hängen mit den Ökosystemdienstleistungen unserer Umwelt zusammen. Der weitere Verlust an Biodiversität könnte in der Zukunft schlimmstenfalls ein Kollabieren dieser enormen Wirtschaftsquelle bedeuten, was verheerende Folgen für viele Industrien, Nationen und Gesellschaften hätte. Der Verlust der Biologischen Vielfalt wird sich in den nächsten Jahren zudem schneller entwickeln und könnte binnen Jahrzehnten ganze Ökosysteme und auch Wirtschaftsräume zu Fall bringen.
Gerade die Produktion von Lebensmitteln und Futtermitteln für die Zuchttierhaltung weltweit und der damit einhergehende Ressourcenverbrauch einer Weltbevölkerung führt zu einschneidenden Rückkopplungseffekten für die Natur, die Gesellschaft und die Wirtschaft.
Die regulatorischen Veränderungen werden insbesondere die Landwirtschaft und alle entsprechenden Bereiche der sogenannten „Food Systems“ betreffen (der Begriff „Food Systems“ umfasst alle Prozesse und Infrastrukturen, die an der Wertschöpfungskette der Ernährung beteiligt sind). Hieraus resultieren neue und signifikante finanzielle Risiken bestimmter Unternehmen und Industrien, die in der langfristigen Anlagestrategie von Investoren berücksichtigt werden sollten.
Positives Potenzial und Anlagechancen mit Wirkung
Die politischen Veränderungen generieren jedoch auch neue Opportunitäten. Nach Angaben des Weltwirtschaftsforums besteht ein positives Wirtschaftspotential von über zehnBillionen US-Dollar in den nächsten zehn Jahren an Geschäfts- und Anlagemöglichkeiten im Bereich der Erhaltung, Wiederaufbau und des Schutzes von Natur und Ökosystemen.
Die Anlagemöglichkeiten, gerade auch für institutionelle Anleger, sind vielfältig und lassen sich in fast allen Anlageklassen finden. Besonders hervorzuheben sind Investitionsstrukturen, die den öffentlichen und privaten Kapitalmarkt verbinden, da gerade der Schutz von Ökosystemen bislang fast ausschließlich öffentlich finanziert wurde. Der London School of Economics (LSE) zufolge stammen weltweit zwischen 80 und 85 Prozent der Investitionen, die in die Erhaltung der biologischen Vielfalt fließen, bislang aus staatlichen Kassen. Bereits etabliert sind Blended-Finance Investments, in denen staatliche und private Investoren gemeinsam in Beteiligungsstrukturen insbesondere in Entwicklungsländern investieren.
Gleichzeitig wächst der Markt der sogenannten Labelled Bonds mit hoher Geschwindigkeit. „Sustainable/nachhaltige“-, „Labelled“-, „Green“-, „Blue“- oder „Impact“-Bonds sind Fremdfinanzierungsinstrumente, die von Regierungen, Entwicklungsbanken oder sogar Unternehmen ausgegeben werden, um Kapital von privaten Anlegern zur Finanzierung von umwelt- oder klimabezogenen Projekten wie Erneuerbare Energien oder große Umweltinfrastrukturprojekte zu beschaffen.
Alle „Labelled“-Bonds haben den Vorteil, dass im Emissionsprospekt immer genau und explizit beschrieben werden muss, was der Finanzierungszweck ist. Gleichzeitig bieten diese Bonds marktübliche Renditen und Laufzeiten sowie die Bonitäten entsprechend ihres Emittenten. Dies ermöglicht es gerade institutionellen Kapitalgebern, gezielt und gemäß ihrer Risiko-Renditevorgaben in Technologien und Projekte, die der Erhaltung oder Wiederherstellung der Biodiversität dienen, zielgerichtet zu investieren.
Infrastruktur-Projekte und Real-Asset Investitionen (Land/Forstwirtschaft), die zur Erhaltung und Wiederherstellung von natürlichen Ökosystemen beitragen, wie natürliche Küstenschutzprojekte (Mangroven), spezielle erneuerbare Energieprojekte aber auch alternative Agrarmethoden, bieten skalierbare und langfristige Anlagechancen. Sicher stellen Datenbeschaffung, die Messung, die Effizienz und die langfristige Wirkung der Umsetzung noch weitere Herausforderungen dar, dennoch zeigt die Dringlichkeit und die Signifikanz der Bedeutung natürlicher Ökosysteme für den Menschen und die Wirtschaft, dass nur mit der Transformation vieler Industrien und einer Neuausrichtung von öffentlichen als auch privaten Kapitalströmen Lösungen entstehen können.

Sie ist seit 2005 bei FERI tätig und leitete viele Jahre die internationale Geschäftsstrategie der FERI Gruppe. Sie war bis 2021 Präsidentin des Verwaltungsrates der FERI (Schweiz) AG.
Frühere Stationen der studierten Mathematikerin (Heidelberg) innerhalb ihrer 20-jährigen Erfahrung in der Finanzindustrie waren unter anderem die Skandia Gruppe, BNP Paribas und S&P Fund Services.