Unabhängige Finanzanlagenvermittler mit Zulassung nach Paragraf 34f Gewerbeordnung sind nicht dazu verpflichtet, ab dem 2. August 2022 die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abzufragen und das Ergebnis dann in eine eventuelle Produktempfehlung einfließen zu lassen. Das ergab eine gemeinsame Anfrage des Votum-Verbandes und des Bundesverband Finanzdienstleistung AfW beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Damit nimmt das Ministerium eine für viele Fachleute recht überraschende gesetzliche Auslegung vor, bestätigt aber andererseits eine schon vor einigen Wochen von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) diesbezüglich getätigte Äußerung. Es wird im Ministerium davon ausgegangen, dass es sich bei dem Verweis in § 16 Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV) auf Artikel 54 der Delegierten Verordnung der Europäischen Union um einen starren Verweis handelt, der nicht auf die jeweils gültige Verordnung verweist, sondern auf die Verordnung zum Zeitpunkt der Verabschiedung der FinVermV. „Finanzanlagenvermittler sind weder aufgrund von direkt geltendem EU-Recht noch durch die FinVermV rechtlich verpflichtet, die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden zu ermitteln. Dennoch wäre es sinnvoll, wenn sie diese Anforderung freiwillig erfüllen würden.“, zitiert der AfW das Ministerium.
Das führt nach Meinung des AfW zu dem absurden Zustand, dass Finanzanlagenvermittler mit Zulassung nach § 34f Gewerbeordnung wahrscheinlich für einen Übergangszeitraum andere regulatorische Pflichten haben werden als Banken, Vermögensverwalter und andere Wertpapierdienstleister. Aber auch andere als Versicherungsvermittler in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit.
„Wir gehen davon aus, dass der Gesetzgeber aktiv und die FinVermV kurzfristig angepasst wird und damit bald auch die entsprechende gesetzliche Pflicht für alle 34f-Zulassungsinhaber kommt. Zum 2. August dürfte das aber – insbesondere wegen der anstehenden parlamentarischen Sommerpause und der Notwendigkeit der Zustimmung auch des Bundesrates – schwer umsetzbar sein. Wir bleiben bei unserer Empfehlung, sich auch mit Zulassung nach § 34f Gewerbeordnung intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit zu befassen, zu qualifizieren und das Thema beim Kunden entsprechend der gesetzlichen Vorgaben umsetzen. Soweit möglich, auch schon ab dem 2. August“, so Rechtsanwalt Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des AfW.
Gleicher Meinung ist Rechtsanwalt Martin Klein, Vorstand des Votum-Verbands. „Ungeachtet dessen, wie wir diese Ausnahme angesichts des herrschenden Chaos kurz vor Scharfstellung der Verordnung bewerten, so begrüßen wir diese Klarstellung seitens des Ministeriums, welche der Votum-Verband in engem Schulterschluss mit weiteren Vermittlerverbänden wie dem AfW nun erwirkt hat. Wir teilen selbstverständlich die Überzeugung des AfW, dass die Vermittler dennoch gut beraten sind, sich so früh wie möglich auf den Weg machen, die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden zu erfragen“, so Klein.
Klein geht davon aus, dass der Gesetzgeber aktiv muss. Diese Annahme beruht auf der Regelung des Artikel 3 Absatz 2 der MiFID II. Mitgliedsstaaten, die von der sogenannten Bereichsausnahme Gebrauch machen, sind verpflichtet, hinsichtlich der Anforderungen an die Berufsausübung der der Bereichsausnahme unterliegenden Personen bezüglich des Verbraucherschutzes die gleichen Wohlverhaltensregeln umzusetzen, wie sie für Wertpapierfirmen gelten. Zu den Wohlverhaltensregeln gehört insbesondere die Durchführung einer vollständigen Geeignetheitsprüfung, so dass der deutsche Gesetzgeber gezwungen sein wird, die FinVermV kurzfristig anzupassen.
„Die Mühlen des Gesetzgebers mahlen bekanntlich langsam. Es ist demnach nicht damit zu rechnen, dass dieses Verfahren zur Anpassung der Verordnung, bei dem auch der Bundesrat beteiligt werden muss, vor dem 2. August 2022 abgeschlossen sein wird. Die nächstmögliche Plenarsitzung erfolgt am 8. Juni. Bis dahin ist nicht damit zu rechnen, dass eine entsprechende Vorlage erstellt wird. Damit steht die Branche nunmehr vor der absurden Situation, dass ein Versicherungsvermittler gesetzlich verpflichtet ist, Nachhaltigkeitspräferenzen zu ermitteln, sofern er eine fondsgebundene Lebensversicherung vermittelt – der gleiche Vermittler hierzu jedoch nicht verpflichtet ist, wenn er einen Fondssparplan vermittelt“, so Klein.


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