Ausblick 2022 – Erwartungen der Marktteilnehmer und ihrer Dienstleister

Obwohl wir im Jahr 2021 eine Vielzahl von Determinanten hatten, die negativ auf das Umfeld einer Kapitalanlage gewirkt haben (müssten), gab es eine Konstante, die offensichtlich alles überdeckt hat: es gab keine Veränderungen des drastisch niedrigen Zinses. Die Megatrends Digitalisierung, Deglobalisierung und Klimawandel haben unumkehrbare Strukturveränderungen in Gang gesetzt, gegen die sich Marktteilnehmer wehren mögen (Stichwort Greenwashing) oder die sie verschlafen können (Kryptowährungen, Blockchain). Aufhaltbar scheinen diese Entwicklungen nicht.

Auswirkungen der Pandemie. Wie kein anderes Ereignis hat diese die Verschuldungsgrade von führenden Industrienationen in die Höhe getrieben und sicher auch weiter Konsequenzen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften. Die bereits ausgeprägten geopolitischen Entwicklungen werden hierdurch zusätzlich befeuert.

Durch diese Entwicklungen und eher traditionelle Ansätze der Machtpolitik sind zuletzt die Inflationsraten für die Notenbanken ein schwieriger Indikator gewesen. Inflation kann aber gegebenenfalls im Jahr 2022 bereits zu einer deutlichen Trendwende in der Zinspolitik führen. Hohe Volatilität scheint gesichert.

Uns interessiert auch die Ertragserwartung der Investmentbranche. Dazu haben wir über mehrere Social-Media-Kanäle gefragt:

Wie wird das Jahr 2022 für die Ertragserwartung der Investmentindustrie?

Das Bild ist sehr differenziert (siehe Grafik). Von Vertretern der klassischen Wertpapierfondsgesellschaften wird eher ein pessimistisches Bild gezeichnet. Wir haben nachgefragt und die Gründe sind nachvollziehbar:

  • hohe Volatilität erwartet
  • die Risiken steigen bei Aktien und Renten

Die starke Entwicklung nachhaltiger Fonds wird zu einer Umverteilung der Marktanteile führen. Deutlich besser ist der Ausblick daher von Häusern, die sich hier bereits gut aufgestellt haben, und in den Marktsegmenten der Dienstleister für alternative Investments und der Immobilieninvestmenthäuser. Beiderseits wird mit weiterhin guten Geschäften in 2022 gerechnet. Wir haben einige Marktteilnehmer ausführlicher befragt, welche Aussichten sie für das begonnene Jahr haben. Die Auswahl der Befragten ist weder vollständig noch repräsentativ, gibt aber einen guten Blick aus sehr verschiedenen Perspektiven.

Eigen Darstellung 2022

Einige wichtige Instanzen, wie zum Beispiel der BVI Bundesverband Investment und Asset Management, werden sich in folgenden Ausgaben äußern. Wir haben diese Fragen gestellt und kommentieren die Antworten in der Folge nicht:

  • Welches ist die größte Herausforderung für Ihre Mitglieder/Ihre Institution in 2022?
  • Welche Themen bringen Verbesserungen in 2022?
  • Was ist Ihr wichtigster Wunsch an die neue Bundesregierung?
  • Welche Bedeutung wird systematisch nachhaltige Kapitalanlage im Jahr 2022 haben?
  • Erwarten Sie einen relevanten Zinsanstieg und wie wirkt sich dieser gegebenenfalls auf die Aktivitäten Ihrer Mitglieder/Ihrer Institution aus?

Außerdem haben wir die Befragten gebeten, gern ergänzende Anmerkungen zu machen.

1 Welches ist die größte Herausforderung für Ihre Mitglieder in 2022?

Dornseifer: Das Jahr 2022 ist kein Selbstläufer, auch nicht in der Kapitalanlage. Fundamentalrisiken wie etwa die steigende Inflation, geopolitische Risiken oder die sich wieder verstärkende Corona-Krise stellen alle Marktteilnehmer vor Herausforderungen. Zusätzlich sind diese auch mit assetspezifischen Risiken konfrontiert, wie etwa dem gigantischen Dry Powder (allen voran bei Private Equity und Infrastruktur Equity) und steigenden Asset-Preisen auf der einen Seite, fehlenden Investitionsmöglichkeiten sowie fallenden Renditen – unter anderem im Bereich Real Estate – auf der anderen Seite. Und last but not least, ist da auch noch das Thema Sustainable Finance, insbesondere der Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken und die Implementierung der vielfältigen und komplexen regulatorischen Vorgaben rund um Taxonomie, Offenlegungsverordnung und so weiter. Diese Challenge ist enorm und wird 2022 ganz besonders prägen. Und dann laufen derzeit noch weitere umfassende Regulierungsvorhaben, wie etwa AIFMD- und ELTIF-Review sowie der Solvency-Review. Auch hier stehen also weitere Änderungen an.

Weber: Eine der größten Herausforderungen der FNG-Mitglieder wird in diesem Jahr vermutlich die Umsetzung der Regulatorik, insbesondere MiFID II sein. Um dieser Herausforderung zu begegnen, arbeiten wir derzeit an der Aktualisierung unseres Leitfadens zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen. Außerdem bieten wir Finanzberater:innen mit der Weiterbildung Nachhaltige Geldanlagen einen kompakten und fundierten Einstieg in das Thema nachhaltige Geldanlagen. Auch die Steigerung der Produktqualität wird in diesem Zusammenhang eine große Herausforderung darstellen. Auch hier bieten wir mit den FNG-Standards (FNG-Nachhaltigkeitsprofile, Transparenzlogo und FNG-Siegel) passende Lösungen an.

Opitz: Wir erwarten weiterhin einen deutlich negativen Realzins, der sich aus der Differenz zwischen Inflationsrate und Einlagenzinsen auf Guthaben (sowie risikoarme Kapitalanlagen, wie etwa Bundesanleihen) ergibt. In der Folge kommt es zu einer verstärkten Entwertung, insbesondere von Sicht- und Spareinlagen. Um weitere Anlagemöglichkeiten zu eröffnen, bieten wir unseren Kund:innen eine breite Palette an Fonds und achten auf eine sinnvolle Risikostreuung. Wir sind davon überzeugt, dass Unternehmen nur zukunftsfähig sind, wenn sie im Einklang mit den Menschen und der Natur wirtschaften. Deshalb investieren wir ausschließlich in sozial-ökologisch sinnvolle Projekte.

Vogel: Auch in 2022 kristallisiert sich bereits heraus, dass das Interesse an unseren Fachtagungen und unserem „Senior Roundtable“ Format auch in diesem Jahr ungebrochen ist. Themenbereiche die wir als Pensions-Akademie e.V. in diesem Jahr wieder in den Vordergrund stellen sind vor allem regulatorischer Art. Regulatorik ist und bleibt die zentrale Herausforderung für unsere Mitglieder. Diese ständig zunehmenden Anforderungen, gepaart mit einer sich nur sehr langsam ändernden Zinssituation werden die Diskussionen in 2022 dominieren. Zu hoffen bleibt, dass das Thema Nachhaltigkeit, das wir in allen Facetten bei deutschen Pensionseinrichten vorantrieben und unterstützen wollen nicht an Priorität aufgrund der dominierenden regulatorischen Themen verliert.

Korffmacher: Die größte Herausforderung ist und bleibt die Erreichung des Rechnungszinses in einem anspruchsvollen Kapitalmarktumfeld. Die Kapitalmarktsituation birgt eine große Unsicherheit – zum einen bedingt durch die Inflation, zum anderen durch mögliche erhebliche geopolitische Turbulenzen. Das WPV ist im Jahr 1993 mit einem Rechnungszins von vier Prozent errichtet worden. Wir haben unseren Rechnungszins sukzessive abgesenkt, aktuell liegt er bei 3,25 Prozent. Die tatsächliche Zinsanforderung liegt aufgrund von nicht zinsfordernden Reserven auf der Passivseite bei rund 2,8 Prozent. Bei Renditen nahe „0“ aus Bundesanleihen ist die Herausforderung trotz der Absenkung des Rechnungszinses offensichtlich. Inzwischen müssen wir jedes Jahr einen erheblichen Teil unserer Überschüsse dafür einsetzen, den Rechnungszins sukzessive weiter abzusenken.

2 Welche Themen bringen Verbesserungen im Jahr 2022?

Dornseifer: Mir fällt es ehrlich gesagt schwer bestimmte Punkte oder Themen zu identifizieren, die signifikante Verbesserungen oder Erleichterungen für unsere Mitglieder bringen. Dafür ist zum einen das aktuelle Marktumfeld recht herausfordernd, zum anderen läuft die Regulierungsmaschinerie weiter auf Hochtouren. Ich verspreche mir aber zum Beispiel durch den digitalen Fondsanteil, für den wir uns im letzten Jahr eingesetzt haben, wichtige Impulse, ebenso von der sogenannte Kryptoquote für Spezial-AIF. Auch die praxistauglichere Ausgestaltung für sogenannte Long Term Equities unter Solvency dürfte hilfreich sein. Und gegebenenfalls wird ja sogar auch die Umsatzsteuerbefreiung bei der Managementfee für AIF noch diskriminierungsfrei, und eben nicht nur isoliert für Venture-Capital-Fonds, umgesetzt. Da könnte 2022 noch etwas möglich sein.

Weber: Verbesserungen werden in 2022 die Konkretisierung der Offenlegungsverordnung und der Taxonomie bringen, da die unklare Regulatorik zur Zeit noch zu mehr Irritation als Nutzen führt. Auch in der Umsetzung von MiFID II sehen wir eine große Chance für ein weiteres dynamisches Wachstum von nachhaltigen Geldanlagen. Umso wichtiger werden Orientierungshilfen sowie die FNG-Standards sein, insbesondere das FNG-Siegel, welches schon jetzt eine stark steigende Nachfrage verzeichnet.

Opitz: Wir erhoffen uns durch den Regierungswechsel neuen Schub, insbesondere für die Energiewende beziehungsweise den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland und für die Agrarwende. Die durch den neuen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vergangene Woche veröffentlichte Eröffnungsbilanz Klimaschutz ist in diesem Zusammenhang sehr ermutigend. Sie zeigt auf, wo die Probleme liegen und wie sie angegangen werden sollen. Die Politik sollte sich zügig an die Umsetzung von Klimaschutzzielen machen, denn der Klimawandel ist die schlimmste Bedrohung für die deutsche Wirtschaft. Die Wirtschaft ist der Schrittmacher für die Politik. Wir können mit Innovationen und grünen Investments zeigen, dass wir es ernst meinen und uns unserer Verantwortung bewusst sind. Wir sind bereit, Wirtschaft neu zu denken und ihre Transformation zu finanzieren. Die Politik hat die Aufgabe, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen.

Vogel: Wir haben in 2022 die Chance Nachhaltigkeitsthemen weiter voranzutreiben und umzusetzen, sofern diese nicht durch andere Prioritäten, wie oben beschrieben, an Momentum verlieren. Die Gespräche, die wir mit Pensionseinrichtungen im Rahmen der Bewerbungen für unseren „Deutschen ESG Pensions Award“ führen, zeigen die Aufbruchsstimmung Nachhaltigkeitsprozesse in der Kapitalanlage zu definieren und umzusetzen. Hierbei steht nicht das regulatorische „Muss“ im Vordergrund, sondern der Wille sich von einer reaktiven, oftmals lediglich durch Ausschlusskriterien geprägten Strategie zu einer aktiven Einflussnahme in den investierten Assetklassen zu entwickeln. Externe Faktoren wie die Energiewende-Diskussion, ESG Marketing der Asset Manager und nicht zuletzt der politische Wille unserer Bundesregierung können diese Entwicklung in 2022 positiv beeinflussen, letztendlich muss der Antrieb für eine Umsetzung aber vor allem von den Pensionseinrichtungen selbst kommen und realistisch umsetzbar sein.

3 Was ist ihr wichtigster Wunsch an die neue Bundesregierung?

Dornseifer: Eine ernstgemeinte und fokussierte Stärkung des Fondsstandortes Deutschland. Sustainable und Digital Finance sind zwei Entwicklungen, die riesiges Potenzial insbesondere für die Fondsbranche beinhalten und zudem signifikante volkswirtschaftliche Impulse setzen. Der Ampel-Koalitionsvertrag ist mit Blick auf die Finanzbranche im Allgemeinen und die Fondsbranche im Speziellen hingegen eher farblos. Hier muss die neue Bundesregierung nacharbeiten, gerade auch weil ein großer Teil der deutschen Altersvorsorge über Fonds zukunftsfest investiert wird und dies im andauernden Niedrigzinsumfeld auch nicht einfacher wird. Ein konsistentes Regelwerk aus Aufsichts- und Steuerrecht ist also Pflicht und nicht etwa nur Kür.

Weber: Unser wichtigstes Anliegen ist eine konkretere Strategie zur Umsetzung der im Koalitionsvertrag beschlossenen Maßnahmen in Anlehnung an die Empfehlungen aus dem Abschlussbericht des Sustainable-Finance-Beirats. Wichtig dabei ist eine breite Bildungsoffensive mit der Definition von ESG-Qualifikations- und Kompetenzanforderungen für Management und Beratung sowie die Unterstützung der Forschung.

Opitz: Die konsequente und schnellstmögliche Umsetzung des angekündigten Klimaschutz-Sofort-programms. Das bedeutet für uns zum einen die vollständige Umstellung auf Erneuerbare Energien. Als wichtigen Schritt sehen wir dabei die Verlagerung von Solaranlagen auf Hausdächer, statt weiter wertvolle Bodenflächen zu nutzen. Mit unserer „PV Aufdach! Kampagne“ fördern wir Photovoltaik-Anlagen auf Dächern von Gewerbeimmobilien und haben ein besonders attraktives Finanzierungsangebot. Wir fordern weiterhin die Einführung einer konsequenten CO2-Abgabe. Zum anderen fordern wir die Agrarwende und die Umstellung auf 100 Prozent biologisch erzeugte Lebensmittel. Wir setzen uns ein für Artenvielfalt und eine achtsame ökologische Landwirtschaft. Unsere Hoffnung ruht auf unserem neuen Agrarminister Cem Özdemir, die Agrarwende endlich anzupacken. Zu den Rahmenbedingungen gehört die Einführung einer Abgabe auf Pestizide und Düngemittel.

Vogel: Der Wunsch an die neue Bunderegierung bleibt wie die Jahre zuvor bestehen. Die bAV in Deutschland muss gefördert werden und vielleicht geben die Ampelfarben grün = ökologisch, rot = sozial und gelb = ökonomisch noch zusätzlich einen nachhaltigen Anstrich unserer bAV- Landschaft. Darüber hinaus ist unser seit Jahren geäußerter Wunsch Rendite nicht dem uneingeschränkten Streben nach Garantie zu opfern, bereits im Koalitionsvertrag schriftlich verankert: „Die betriebliche Altersversorgung wollen wir stärken, unter anderem durch die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen“. Mit Spannung erwarten wir die Schritte dies umzusetzen.

4 Welche Bedeutung wird systematisch nachhaltige Kapitalanlage im Jahr 2022 haben?

Dornseifer: Wie der im November veröffentlichte BAI Investor Survey deutlich zeigt, hat der Paradigmenwechsel ja längst stattgefunden und der Nachhaltigkeitszug nimmt immer mehr Fahrt auf. Über zwei Drittel der teilnehmenden Investoren bestätigten, dass sie mittlerweile eine dezidierte ESG-Strategie verfolgen. So gut wie keine Anlageentscheidung wird ohne Nachhaltigkeitsassessment getroffen. Investoren und Asset Manager wollen und müssen den nachhaltigen Wandel finanzieren. Es geht nicht ohne sie. Gleichzeitig eröffnen sich dadurch aber auch neue Anlagemöglichkeiten und hier werden aus meiner Sicht vor allem Private-Markets-Strategien profitieren.

Weber: Nachhaltige Geldanlagen sind auf Wachstumskurs und werden an Bedeutung gewinnen. Diese Tendenz lässt sich aus der Erhebung zum Marktbericht 2021 ableiten. Gefragt nach einer Prognose für das weitere Wachstum nachhaltiger Geldanlagen 2021, gehen alle Studienteilnehmer:innen von einem Wachstum aus; nur 29 Prozent der Institutionen von einem Wachstum bis 15 Prozent, die anderen 61 Prozent rechnen mit einem erheblich höheren Wachstum – teils sogar über 50 Prozent.

Opitz: Aus unserer Sicht wird sich die Bedeutung nachhaltiger Kapitalanlage im Jahr 2022 weiter verstärken. Sowohl das regulatorische Umfeld (Stichwort Taxonomie) als auch die Nachfrage seitens der institutionellen und privaten Kapitalanleger:innen werden dazu führen, dass sämtliche Anbieter von Kapitalanlageangeboten ihre Aktivitäten im Bereich der ESG-Investments ausbauen werden. Weiterhin gilt jedoch, dass Anleger:innen sehr genau hinschauen müssen, um die Spreu vom Weizen zu trennen und eine Allokation in nur scheinbar nachhaltigen Kapitalanlageangeboten zu vermeiden.

Vogel: Die Bedeutung der systematisch nachhaltigen Kapitalanlage wird in 2022 steigen. Die Gefahr sehen wir in einer weiteren Befeuerung und Systematisierung aufgrund von Regulatorik. Pensionsreinrichtungen müssen selbst ihren Nachhaltigkeitspfad definieren und konsequent diesem individuellen, unternehmensbezogenen Leitsatz folgen. Einem „Herdentrieb“ oder regulatorischem Zwang zu folgen, um Strategien umzusetzen, die im eigenen Unternehmen nur schwer realisierbar sind, wird zu einem höheren administrativen Aufwand führen und somit nicht unbedingt dem Nutzen der Anleger dienen.

Korffmacher: ESG-Anlagen performen meiner Meinung nach zumindest nicht schlechter als traditionelle Investments. Zahlreiche Meta-Studien belegen, dass es vorteilhaft oder zumindest nicht schlechter ist, ESG-Kriterien zu berücksichtigen. Sonst dürften wir, also Verantwortliche für Treuhandvermögen, solche Investments auch gar nicht tätigen. Wir haben das Thema ESG daher schon länger auf dem Radar, sind beispielsweise bereits seit 2012 UN-PRI-Unterzeichner und wollen unser Nachhaltigkeitsengagement auch weiter ausbauen. Das WPV hat für die Kapitalanlage eine Fokussierung innerhalb der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung vorgenommen. Stark gewichtet ist das Segment Erneuerbare Energien. Uns kommt dabei die separate Quote für Infrastruktur-Investments von fünf Prozent zugute, die das Land Nordrhein-Westfalen Versorgungswerken seit 2021 zugesteht. Diese Quote hat das WPV mit Equity- und Debt-Anlagen im Bereich Renewables gefüllt. Im Hinblick auf die Vorgaben des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Genehmigung dieser Quote haben wir gerade unsere Nachhaltigkeitsstrategie geschärft. Ein großes Problem, das mit der steigenden Bedeutung nachhaltiger Kapitalanlagen verknüpft ist, ist das sogenannte „Greenwashing“. Es werden auch Fonds angeboten, die wenig Mehrwert zum Beispiel für die Umwelt und gar keinen für den Investor bringen, aber teurer sind, weil „ESG“ oder „grün“ draufgeschrieben wird. Die Aufgabe des institutionellen Investors besteht darin, dies im Auswahlprozess zu erkennen und die Spreu vom Weizen zu trennen.

5 Erwarten Sie einen relevanten Zinsanstieg und wie wirkt sich dieser gegebenenfalls auf die Aktivitäten Ihrer Mitglieder aus?

Dornseifer: Zunächst erwarte ich eine weiterhin spürbare Inflation und die gibt den Takt, auch bei der Kapitalanlage, vor. Nachdem sich die Fed ja schon deutlicher positioniert hat, scheint nun auch die EZB aufgewacht zu sein; allerdings gibt es derzeit – noch – keine klaren Commitments, wann mit vorsichtigen Zinsschritten zu rechnen ist. Aber eines ist klar, diese müssen kommen, und zwar besser früher als später. Unsere Mitgliedsunternehmen sind bekanntlich sehr unterschiedlich über verschiedene Assetklassen und Strategien hinweg aufgestellt. Manager von liquiden Strategien werden anders betroffen sein als Manager mit Private-Markets-Strategien, bei Private Equity wiederum anders als bei Private Debt und wiederum anders als bei Infrastruktur. Zinsänderungsrisiken betreffen aber auf jeden Fall sowohl die Equity- als auch die Debt-Seite. Mit einem Anstieg der Volatilität, steigenden (Re-)Finanzierungskosten und verstärktem Druck auf Erträge und Profitabilität sollte man sich also auf jeden Fall auseinandersetzen. Grundsätzlich gehe ich aber nicht davon aus, dass allein ein verhaltener Zinsanstieg alternative Investments unattraktiver macht.

Weber: Nein, wir erwarten keinen relevanten Zinsanstieg.

Opitz: Sollte die US-amerikanische Notenbank Fed zeitnah signifikante Zinsschritte umsetzen und sich zugleich die Inflation im Euroraum als hartnäckig erweisen, wird der Druck auf die EZB zunehmen, ihrerseits ihre ultralockere Geldpolitik zu straffen. In einem ersten Schritt könnte die EZB ihr Anleihekaufprogramm auslaufen lassen, während der Ausstieg insbesondere aus den negativen Einlagenzinssätzen in einem mittelfristigen zweiten Schritt erfolgen könnte. Ein solches Szenario hätte aus unserer Sicht jedoch nur geringe Auswirkungen auf unsere Mitglieder. So erwarten wir nicht, dass sie ihre Genossenschaftseinlagen signifikant umschichten werden. Schließlich hat sich die überwiegende Zahl unserer Mitglieder weniger aus Renditegründen, sondern vielmehr aus Überzeugung an unserem Eigenkapital beteiligt.

Vogel: Der aktuell zu beobachtende Zinsanstieg dürfte sich unserer Einschätzung nach im Laufe des Jahres fortsetzen. Dabei sollte davon ausgegangen werden, dass sich die Entwicklung mittelfristig eher beschleunigt. Die Situation in den USA mit inzwischen signifikanten Infla-tionsraten und zu erwartenden Gegenmaßnahmen der FED wird auch auf die europäischen Märkte übergreifen. Auch der anhaltende Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten insbesondere aus China wird kurzfristig nicht zu überwinden sein und für weiteren Preisdruck sorgen. Wie lange die EZB sich einer Anpassung ihrer QE-Politik noch widersetzen wird, bleibt aber schwer einzuschätzen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor bleibt die Entwicklung der Corona-Lage und deren Auswirkungen auf Insolvenzen, Produktion, Nachfrage und Logistik. 

Korffmacher: Ich erwarte eine deutlich höhere Inflation als von der EZB bisher, die Annahmen ändern sich gerade, prognostiziert wird – allerdings zunächst keinen relevanten Zinsanstieg, sodass die Herausforderungen bei der Kapitalanlage, die durch den Rechnungszins vorgegeben sind, allenfalls gemindert werden. Für mich ist das maßgebliche Credo nach 30 Jahren Tätigkeit in der Vermögensanlage und mehreren Jahrhundertkrisen in diesem kurzen Zeitraum: Diversifikation und Demut. Das WPV hat schon früh die Renten-Direktanlagen reduziert und alternative Anlagen übergewichtet. Rund 50 Prozent der Kapitalanlage bestehen aus Immobilien, Private Equity, Private Debt und anderen Alternatives. Das Fixed-Income-Portfolio wurde indes heruntergefahren auf nun rund 18 Prozent. Hinzu kommen Aktien, Emerging Markets und andere Assetklassen.

Zusatzfrage: Ergänzende persönliche Anmerkungen zu den Herausforderungen und den wichtigen Aspekten für 2022:

Korffmacher: Aufgabe des Versorgungswerks der Wirtschaftsprüfer und der vereidigten Buchprüfer im Lande Nordrhein-Westfalen (WPV) ist die Sicherstellung einer angemessenen Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung für seine Mitglieder. Die Betonung liegt dabei aus meiner Sicht auf dem Wort „Sicherstellung“; das heißt, die gesamte Tätigkeit muss sich an diesem Hauptziel ausrichten. Es dürfen also keine Risiken übernommen werden, die den gesetzlichen Auftrag gefährden könnten. Daher kommt es selbstverständlich nicht in Betracht, die Kapitalanlage ohne Vorgaben zur Disposition der Entscheidungsträger in den einzelnen Versorgungseinrichtungen freizugeben. Die aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen – für Versorgungswerke gilt nach wie vor die Anlageverordnung – tragen aber weder den aktuellen Kapitalmarktbedingungen noch insbesondere den Spezifika der berufsständischen Versorgung – öffentlich-rechtlich verfasste Körperschaften mit Pflichtmitgliedschaft, also beispielsweise keine Stornorisiken – Rechnung. Es wird daher in den Versorgungswerken, namentlich auch in der Dachorganisation, der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen (ABV), intensiv diskutiert, ob nicht eine Anlageverordnung speziell für die berufsständischen Versorgungswerke sinnvoll wäre. Ich hoffe, dass diese Überlegungen zeitnah zu regulatorischen Änderungen führen werden.

Wir bedanken uns für die Antworten von:

Hans-Jürgen Dannheisig

Hans-Jürgen Dannheisig

Langjährige Tätigkeiten als Geschäftsführer und Vorstand in führenden
Unternehmen der Finanzindustrie. (u.a. BfG Bank AG, Berenberg Bank, BHW
Gruppe, NIXDORF Kapital AG). Schwerpunkte in den Bereichen Sales,
Kommunikation und Investor Relations bei institutionellen Marktteilnehmern und Family Offices. Unabhängiger Aufsichtsrat und Beirat. Gremientätigkeiten BVI, VuV , Bundesinitiative Impact Investment, Club of Finance, Pensionsakademie . Co-Herausgeber EXXECNEWS INSTITUTIONAL.

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